Halt! Gewalt!

In der ersten Klasse Volksschule, irgendwo in Niederösterreich, erzählt mir eine Mutter (Namen sind mir bekannt), gibt es bei ihrem Kind einen Mitschüler, der Drogen ins Schulhaus bringt und der Mitschülerschaft sagt, wenn ihre Eltern etwas brauchen sollten – sein Vater kann es besorgen.

Ein unschuldiger Nachwuchsdealer, der vermutlich brav Vaters Befehlen folgt.

Die Mutter fragt die Direktorin, was sie dagegen zu unternehmen gedenkt – aber diese scheint für solche Situationen kein Modell zu besitzen. Zumindest das Jugendamt wäre doch zu verständigen, meint die Mutter. Eigentlich schon, räumt die Direktorin ein. Auch weil der Junge von seinem Vater verdroschen wird – das wissen auch die anderen Mütter. Naja, schwierige Familienverhältnisse, seufzt die Direktorin, und: Was solle man da denn machen?

Ich sage der Mutter:

Gegen Gewalt hilft nur Öffentlichkeit – und Protest. Man muss eine Grenze setzen.

Konkret: Man muss deutlich aussprechen, dass man das, was konkret geschehen ist, nicht in Ordnung findet – und dass man will, dass das aufhört.

„Deutlich“ heißt nicht, dass man wütend oder drohend, verächtlich oder ausgrenzend reagieren soll, ganz im Gegenteil, man muss ruhig und wertschätzend sprechen. Man kritisiert ja nicht die Person an sich (deren konkreten Lebensweg man ja nicht kennt), sondern deren Verhalten. Das gilt auch für deren Nachwuchs.

Allein mit diesem Aussprechen setzt man ja bereits eine Grenze zwischen „dir und mir“ – man distanziert sich dadurch, dass man das Verhalten des Anderen nicht billigt. Solange man schweigt, gilt der altrömische Rechtsgrundsatz „qui tacet consentire videtur“ – „Wer schweigt, scheint zuzustimmen“.

Die meisten Menschen, so meine multidisziplinäre Erfahrung aus nunmehr 50 Berufsjahren, schweigen deshalb, weil sie Angst haben sich zu blamieren.

Eine Blamage ist, wenn man Racheakten ausgesetzt ist, wenn man Gerichtsverfahren, mit denen sich der Beschuldigte wehren will, durchstehen muss oder gar verliert – „Hättest es halt bleiben lassen sollen …“ – und wenn alle im Umfeld von einem abrücken, weil man der erste ist, der Missstände zur Sprache bringt – und das vor allem dann, wenn dieser man eine Frau ist. Dann heißt es oft: „Hätte das nicht ihr Mann machen können?“ Hätte er – aber dann rutscht die Kritik oft auf eine Kampfebene, auf der man(n) Sieger sein will. Frauen ist dieses Ergebnis meist nicht wichtig. Sie wollen friedliche Lösungen.

Frieden ist eine Lebensform, die immer wieder mit Unfrieden und Unzufriedenheit abwechselt.

Frauen neigen bekannterweise dazu, unzufrieden zu sein, was bedeutete, dass sie Umstände wie auch Menschen verbessern wollen.

Es gibt Witze – auch eine Form von subtiler Gewalt – und Märchen, in denen dieser Drang nach Verbesserung verspottet wird. In der Sprache der Psychoanalyse nennt man solche Reaktionen „Abwehr“ – man will nicht wahrhaben, dass Verbesserungsbedarf besteht, daher soll und darf Mangel und Makel nicht angesprochen werden.

Ich weiß aus meinen vielen Supervisionen mit Landessozialarbeiter_innen, wie diese darum ringen, möglichst friedliche Lösungsansätze für solche Problemfälle zu finden: Sie sollen ja selbst Vorbild für eine andere Form von Problemlösung bieten als gewalttätige, die zumindest die Kinder in ihrer Liebe zu den Eltern schädigen würden – und Liebe fragt nicht nach Mangel und Makel, ganz im Gegenteil, sie spürt die Schwächen und liebt daraufhin eher mehr.

Ich propagiere für solche Fälle das, was ich Mesoziation – meine Weiterentwicklung von Mediation – nenne und wofür ich in meiner Zeit als Universitätsprofessorin an der Donau Universität sogar ein Masterstudium „Präventionsmanagement“ entwickelt habe: Durch gezielte Anleitung die Menschen aus dem Nahumfeld in die Lage zu versetzen, gemeinsam Umgangsformen gegen Gewalt zu entwickeln. In anderen  Ländern – und gar nicht so friedlichen wie in Österreich – haben sich Mütter gemeinsam gegen Gewalt organisiert und haben öffentlich dagegen demonstriert. Wir haben noch viel zu lernen.

Bildungsangebote dazu gibt es ab Juli auf hier auf der Webseite …