Halt! Gewalt!

Ich bin eine bekennende Legasthenikerin. Konkret: Mein Hirn kann zwar rechtschreiben – oder heißt es Recht schreiben? flüstert mein Fehlerteufel, und die Juristin in mir (das ist ja mein Erstberuf von bislang sieben ordentlich erlernten) beschwichtigt, das gehöre zu meinen legistischen Initiativen, aber nicht in den Alltag – nur meine rechte Hand („das schöne Handi“ hieß es in meiner Volksschulzeit) stellt gerne Buchstaben um. Zahlen sowieso. Ich habe daher eine Schul-Biographie des Ausgespottetwerdens, wenngleich ich schon während des Schreibens auf der Tafel (oder heute auf Flipcharts) zu korrigieren pflege. „Pass besser auf!“ und „Bemühe Dich mehr!“ hieß es damals andauernd – immerhin bin ich ein doppeltes Lehrerkind.

Es ist nicht das „Patzen“, das Hochstress auslöst – es ist die Reaktion der anderen Menschen, welche den GemaßREGELten die Schamröte ins Gesicht treibt. Aber wie sagte der polnische Regisseur Boleslaw Barlog doch so treffend: Fortschritt ist nur möglich, wenn man intelligent gegen die REGELN verstößt.

Zur Erinnerung: Intelligenz hängt davon ab, wie viele neuronale Verschaltungen jemand im Gehirn aufweist – was im Klartext bedeutet, wie kreativ er oder sie ist und wie viele Alternativen daraus erwachsen können – und dürfen.

REGELN sollen Alternativen verhindern. Es soll nur eine „richtige“ Form geben.

Wenn es zwei Formen gibt – beispielsweise männlich und weiblich – soll eine der anderen übergeordnet sein. Warum eigentlich? Damit man über „minderwertige Vergleichsmenschen“ zur Stabilisierung des eigenen Selbstwertgefühls verfügt? Dazu finden sich immer passende Abweichungen von der REGEL: die Kleinwüchsigen – die Überdimensionierten, die Dürren – die Dicken, die Rothaarigen – die Schwarzhaarigen, die Hellhäutigen – die Farbigen usw. usf.  … und die, die den SchulREGELN entsprechen (können) und die sogenannten Schulverweigerer.

Was nicht in Frage gestellt wird, ist das REGELschulwesen.  Deswegen wird ja auch die seit Jahren dahinschleichende Verwaltungsreform mit dem Namen Bildungsreform behübscht.

In Südamerika oder Indien gibt es übrigens auch „dritte“ und „vierte“ Geschlechter – aber das wissen viele eben nicht; Österreich hat da in Diversity Management noch riesigen Nachholbedarf!

„20 Jahre nach der Wiener Erklärung zur ,Neuordnung der deutschen Rechtschreibung‘ existiert immer noch keine einheitliche Rechtschreibung“, heißt es in der heute bei mir eingetrudelten „Einladung zu einem Schreibwettbewerb zur Rechtschreibreform“ (www.rechtschreibreform.de) , und dann wird mit Beispielen (fertig stellen – fertigstellen, seit Langem – seit langem etc.) darauf hingewiesen, dass es noch immer keine einheitliche Rechtschreibung gäbe.

Ich meine: Hier werden REGELN aufgestellt, die allein der Fehlersuche und Benotung – und damit der Diskriminierung der Auditiven, die „nach Gehör“ (d. h. entsprechend der unklaren Sprache ihrer Vorbilder oder besser Vorredner) artikulieren – nützen, nicht aber einer klaren Kommunikation!

Wäre es in Zeiten der durch Digitalisierung wie auch aktuellen „Völkerwanderung“ verkürzten Sprache nicht viel wichtiger, sich auf Sinnerfüllung zu konzentrieren? Und deutlicher wie auch bedeutsamer zu sprechen?

Eine meiner Klientinnen meint unlängst, sie wolle bei Freunden nicht den Eindruck der Gleichgültigkeit erwecken. Was denn an „Gleich-Gültigkeit“ (mit bewusste Atempause zwischen den beiden Wortteilen!) so schlimm wäre, fragte ich nach. Es wäre doch lobenswert, jemanden als gleich gültig anzuerkennen … die Frau – übrigens ebenfalls in einem schreibenden Beruf – gab mir recht (von mir jetzt bewusst klein geschrieben!): sie meinte eigentlich … ja was denn? „egal“ passt auch nicht … „wurscht“ passe, aber das ginge doch nicht, das sei doch Dialekt. Warum nicht, bohrte ich weiter. Was sei denn am Dialekt so schlecht – vorausgesetzt, die Anderen hätten den Ausdruck auch in ihrem Sprachschatz. Das aber ist eine Herausforderung für Achtsamkeit und Wertschätzung.

Wenn man hellhöriger auf diese SprachREGELN achtet, erkennt man die dahinter lauernde Eigen-Bevorzugung von selbsternannten Eliten und damit die epistemische (d. h. auf Vorannahmen beruhende) Gewalt.

Ich plädiere hingegen für eine gewaltverzichtende, daher auf dem Ziel gegenseitiger Klarheit und Verständlichkeit ruhende Sprache und stütze mich dabei auf den „ethischen Imperativ“ Heinz von Foersters:

„Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird“.