Presseaussendung | Dezember 2010

Aktivitätshinweis

„Bündnis gegen Gewalt“
Eröffnung der Koordinierungsstelle im Bundeskriminalamt

Bericht von der Kick-off Veranstaltung am 12.11.2010
Einladung an Vereine, NGO’s und Experten zur Vernetzung

Nachgefragt

Generalmajor Gerhard Lang
Leiter der Strategieabteilung des Bundeskriminalamtes

Interview

Bundesministerin Dr. Maria Fekter

 Aus der Praxis

Eine Polizeibeamtin erzählt …

OR Ing. Mag. Herwig Lenz
Leiter der Kriminalprävention & Opferhilfe des Bundeskriminalamtes

Zum Nachlesen | Buchtipps

Gewalt in der Schule, Hurrelmann / Rixius / Schirp
Weinheim 1999

Lernfall Aggression, Hans-Peter Nolting
Rowohlt, 2005

Tödliche Konflikte. Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege, Fritz B. Simon
Carl-Auer-Systeme Verlag, 2001

Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können, Dan Olweus
Huber Bern, 4. Auflage, 2006

Ernstfall Kindermobbing. Das können Eltern und Schule tun, Frank Schallenberg
Claudius, 2004

Aggressives Verhalten, Franz Petermann, Manfred Döpfner & Martin H. Schmidt
Hogrefe Verlag, 2001

Gewaltprävention an Schulen, Kessler, D, Strohmeier, Hrsg. ÖZEPS
in Kooperation mit dem Institut für Bildungspsychologie und Evaluation der Universiät Wien
2. veränderte Auflage, Wien, August 2009

Hinweis – Tipp

Beschreibung des „Bündnis gegen Gewalt“ auf der Homepage des BMI

Bündnis gegen Gewalt

Aktivitätshinweis

Eröffnung der Koordinierungsstelle „Bündnis gegen Gewalt“ im Bundeskriminalamt

Bericht von der Kick-off Veranstaltung am 12.11.2010
Einladung an Vereine, NGO’s und Experten zur Vernetzung

Innenministerin Fekter eröffnete am 12.11.2011 die Koordinierungsstelle Bündnis gegen Gewalt im Bundeskriminalamt:

Die Koordinierungsstelle im Bundeskriminalamt wird in erster Linie als Schnittstelle und Drehscheibe für Maßnahmen, Ideen und Initiativen im Kampf gegen Gewalt agieren.

Den Grundstein für die neue Anlaufstelle wurde am 23. September 2010 mit der Vorstellung des ressortübergreifenden Maßnahmenpakets „BÜNDNIS GEGEN GEWALT“ gelegt. Das gemeinsame Ziel aller teilnehmenden Akteure war und ist es, eine vernetzte Anti-Gewalt-Sicherheitspolitik zu gestalten, die polizeiliche, politisch- gesellschaftliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Aspekte berücksichtigt, um Gewalt nachhaltig zu bekämpfen. Unter Federführung des Innenministeriums sollen im Rahmen des Bündnisses die vielen offenen Fragen zum Themenkomplex Gewalt mit internen und externen Experten abgearbeitet und neue Lösungsmodelle entwickelt werden. Zusammenlaufen werden sie ab sofort in der Koordinierungsstelle im Bundeskriminalamt. Thematisiert werden sollen dabei möglichst alle Formen der Gewalt: Jugendgewalt, Gewalt gegen ältere Menschen, Gewalt gegen Frauen, Gewalt in der Familie, Gewalt am Fußballplatz etc. „Wir bedienen uns bei der Abarbeitung der Thematik dreier Säulen: der Exekutive, der Praktiker und der Wissenschaft“, sagte Generalmajor Gerhard Lang, Leiter der Strategieabteilung im Bundeskriminalamt.

Univ.-Prof. Dr. Rotraud A. Perner hat sich bereiterklärt, das Projekt wissenschaftlich zu begleiten.

Als Beispiel, wo es bereits eine enge Vernetzung zwischen Polizei und Praxis gibt, nannte Bundesministerin Dr. Maria Fekter das Projekt MEDPOL: Im Vordergrund steht die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Medizin und Polizei. Ziel ist es unter anderem, a-typische Verletzungen, die auf ein mögliches Fremdverschulden schließen lassen, frühzeitig zu erkennen. In einem weiteren Schritt geht es darum, dem medizinischen Personal standardisierte Verfahrensabläufe zur Verfügung zu  stellen und dadurch Handlungssicherheit gewährleisten zu können. Wenn beispielsweise eine Patientin ins Krankenhaus kommt, die neben einer gebrochenen Hand mehrere blaue Flecken am Körper aufweist, soll neben der Versorgung des Bruches auch das Bewusstsein des behandelten Arztes soweit vorhanden sein, die anderen Verletzungen so zu dokumentieren, dass die Dokumentation nötigenfalls auch vor Gericht entsprechende Aussagekraft besitzt. Zudem soll die Patientin, wenn Verdacht auf Fremdverschulden besteht, schon im Krankenhaus unterstützt und über die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Opferschutzeinrichtungen informiert werden. Getragen wird das Projekt MEDPOL vom Bundeskriminalamt und der Ärzteschaft. Die Zusammenarbeit läuft vorbildlich und zeigt eindrucksvoll den Weg, der wir mit dem ,BÜNDNIS GEGEN GEWALT’ gegangen werden soll. Die Polizei kann hier unterstützen und Ihr Know-how zur Verfügung stellen. Für die Umsetzung und Realisierung werden die fachlich zuständigen Akteure zur Mithilfe und Mitarbeit eingeladen.

Ab Jänner 2011 wird es zudem eine eigene Workshopreihe im Rahmen des „BÜNDNIS GEGEN GEWALT“ geben. Die erste Veranstaltung wird sich dem Thema „Gewalt an älteren Menschen“ widmen. An der  Veranstaltung  interessierte Akteure, seien es Vereine, NGOs, Experten aus der Wissenschaft  etc. können ihre Ideen und Inputs ab sofort bei der Koordinierungsstelle unter buendnisgegengewalt@bmi.gv.at einbringen. „Ziel ist es, möglichst alle interessierten Akteure ins Boot zu holen, um gemeinsam Schritte gegen Gewalt  zu setzen“, sagte Bundesministerin Dr. Maria Fekter.

Zugang und Vision des Bündnis gegen Gewalt

Nachgefragt bei

Generalmajor Gerhard Lang
Leiter der Strategieabteilung des Bundeskriminalamtes

Gewalt tritt in allen Gesellschaftsschichten und in allen Altersgruppen in den verschiedensten Ausprägungen auf, wie etwa Gewalt in sozialen Nahverhältnissen, sexuelle Gewalt, psychische Gewalt, kriminelle Handlungen wie Raub, Mord, etc.

Im Entstehungsprozess von Gewalt haben unterschiedliche Einrichtungen und  Personen wie etwa

  • Staatlichen Akteuren (Einrichtungen des Staates wie Ministerien, Gerichte, Exekutive, Schulen, Jugendämter, Krankenhäuser… ) und
  • nicht-staatlichen Akteuren (Medien, NGOs, Opferschutzeinrichtungen, Elternvereine, Private Sicherheitsunternehmen…)

Einblick in die Verhältnisse und die Möglichkeit, Entwicklungen zu erkennen  und in ihrem Wirkungskreis zu handeln.

Es liegt somit in der Verantwortung der Gesellschaft, diese speziellen Formen von Kriminalität an ihren Wurzeln gemeinsam zu bekämpfen. Um das in die Praxis umzusetzen, müssen der Kreis der relevanten  Akteure  erweitert  und  insbesondere das Management der Vielzahl an Einzelaktivitäten verstärkt beachtet werden.

Dies insbesondere deshalb, als die Herausforderungen in Zusammenhang mit der Bekämpfung von Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen, dass alle (ressortübergreifend) angeht und nicht nur Aufgabe der Exekutive sein darf. Daraus folgt, dass eine neue Kombination der  Sicherheitsinstrumente und Kooperationsformen erforderlich ist, um die daraus resultierenden Risken und ihre Ursachen erfolgreich zu vermeiden bzw. zu bekämpfen.

Um diesen Aspekt entsprechend verwirklichen zu können, erfolgt die Koordination ressortübergreifender Maßnahmen in Auftrag der Frau Bundesminister unter Federführung des Bundeskriminalamts mit der Einrichtung der „Koordinierungsstelle gegen Gewalt“. Initialzünder war die Veranstaltung „Bündnis gegen Gewalt“ im September 2010, bei der das gemeinsame Vorhaben an die breite Öffentlichkeit kommuniziert worden ist. Bezug nehmend darauf sind schon verschiedene Bedarfsträger und Interessierte an die Koordinierungsstelle herangetreten, um eine gemeinsame Erarbeitung der Inhalte anzustreben und eventuelle Kooperationsmöglichkeiten abzuklären. (Bsp: Verein Frauenrechtsschutz, Verein Neustart, Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und  Sexuastraftäter (BEST))

Diese bundesweite Anlaufstelle soll vorrangig eine Vernetzung verschiedener interministerieller, ressortübergreifender Berufs- und Interessensgruppen anbahnen, sobald ein gemeinsamer Ansatzpunkt eine zielgerichtete akkordierte Vorgehensweise sinnvoll erscheinen lässt. Das .Bundeskriminalamt fungiert in diesen Agenden als sog. „project key enabler (=Wegbereiter) bzw. als  interministerieller  Vermittler  zwischen den Interessensträgern und begleitet die dazu notwendigen Prozesse.

Auch bietet diese Form der bundesweiten Koordination die Option, erfolgreiche Einzelprojekte oder Kooperationen zu identifizieren (best-practice-Modelle). In einem weiteren Schritt die Möglichkeiten einer Ausweitung abzuklären indem die entsprechenden Entscheidungsträger und Partner im Bündnis gegen  Gewalt  auf  dieser Ebene erst eine übergreifende Ausweitung ermöglichen können.

Dabei ist auf Grund der bisherigen und zukünftigen Erweiterung und Vertiefung der EU insbesondere eine bessere Abstimmung zwischen den Bereichen Justiz, Innen-, und Familienpolitik notwendig, welche wiederum in ihren konkreten Ausformungen und Auswirkungen die nationale Planung in diesen Bereichen entsprechend beeinflusst.

Eine Bestandsaufnahme macht deutlich, dass die Zuordnung von Verantwortung, Kompetenzen und Mitteln noch nicht den aktuellen und neuen Herausforderungen in Zusammenhang mit der Bekämpfung von Gewalt entspricht. Eine Betrachtung der staatlichen und nicht-staatlichen Akteure macht deutlich, dass eine aktive Politik zur Gewaltbekämpfung/-vermeidung heutzutage weder ausschließlich national noch bloß ressortspezifisch und schon gar nicht ohne die Beteiligung der  nicht-staatlichen  Akteure effektiv, effizient und sparsam betrieben werden kann. Weil eine akteursübergreifende Zusammenarbeit erforderlich ist, müssen daher die Ziele und Strategien, die Prozesse und die Strukturen sowie die Fähigkeiten und die Mittel aller betreffenden Akteure unter Einschluss der Bürger systematisch aufeinander abgestimmt, miteinander verbunden und aktiv gestaltet werden.

Über diese daraus resultierenden Vorhaben im gemeinsamen Kampf gegen die Gewalt unterliegen die Pakete einem laufenden Controlling, welches vom .Bundskriminalamt    in qualitativer Hinsicht wahrgenommen wird. Entsprechende Experten  seitens  des  BM.I können dahingehend fachlich und/oder organisatorisch eingebunden werden. Die begleitende Berichterstattung über den Verlauf der erarbeiteten  Inhalte  wird  gegenüber den Stakeholdern und Auftraggebern quartalsmäßig wahrgenommen werden. Weiters sollen im Zuge der geplanten Quartalsmeetings auch allfällige neue Initiativen identifiziert, priorisiert und auch, nach  Abklärung  der  Finanzierungsfrage, ggf. deren Umsetzung veranlasst werden.

Wie so eine Kooperation für verschiedene Bereiche gemeinsam angegangen werden kann, möchte ich anhand des derzeit erfolgreich in die Wege geleiteten Projektes MEDPOL kurz darstellen:

Erwirkt werden soll dabei eine Qualitätssteigerung und -sicherung bezüglich der Verfahrensabläufe an den Schnittstellen zwischen medizinischer  Aufgabenerfüllung  und polizeilicher Tätigkeit, um für die  Agierenden  standardisierte  Verfahrensabläufe zur Verfügung zu stellen und Handlungssicherheit gewährleisten zu können.

Sicherheit und Unversehrtheit von Leib und Leben ist aus polizeilicher sowie medizinischer Sichtweise oberstes Gebot und unumstößliche Essenz der Aufgabenwahrnehmung. Die spezielle Herangehensweise aber an den genauen Arbeitsinhalt lässt in manchen Situationen Interessenskonflikte aufkommen, welche, teilweise aufgrund mangelnder Aufklärung, Unsicherheit die  Vorgehensweise betreffend, oder auch zum vermeintlichen Schutz des/der  Betroffenen,  zu Fehlverhalten führen können.

Um einen Überblick über die im Projekt begriffene Aufgabenstellung erlangen zu  können, wurden seitens des Bundesministeriums für Inneres unter Leitung des Bundeskriminalamts, des Bundesministeriums für Gesundheit,  der  Gerichtsmedizin, der Ärztekammer, dem Gesundheits- und Krankenpflegeverband, dem Verband der Psychologen etc. und den jeweiligen kriminalistisch/kriminologischen Fachgebieten Vertreter entsandt, um in einem ersten Schritt den derzeitigen Arbeitsablauf zu beschreiben. In weiterer Folge werden Fehlerquellen, Doppelläufigkeiten und unnötige Verzögerungen identifiziert, mit der Vorgabe, ein „BEST – PRACTICE- MODELL“ für Ärzte und andere Beteiligte zu erarbeiten.

Projektziel ist es, eine Früherkennung von atypischen Verletzungsmustern bei verletzten/verstorbenen Personen gewährleisten zu können,  sowie  eine Sensibilisierung der Ärzte in Bezug auf durch Fremdverschulden verursachte Verletzungen zu erreichen. Auch soll die weitere Vorgehensweise bei Verdachtsmomenten standardisiert und somit erleichtert werden, um etwaiges Fehlverhalten möglichst vermeiden zu können.

Die erarbeiteten Inhalte und Ablaufmodelle sollen als konserviertes und komprimiertes Wissen den beteiligten Bereichen nicht nur zur Verfügung gestellt werden, sondern könnten als solche Einzug finden in die Ausbildungscurricula für Polizisten und medizinisches Fachpersonal, um somit künftig bestmöglich und im gemeinsamen Interesse an dieser Schnittstelle agieren zu können.

Generalmajor Gerhard Lang

Was ist das Ziel der Koordinationsstelle Bündnis gegen Gewalt?

Interview mit

BM Dr. Maria Fekter

Was ist das Ziel der Koordinationsstelle „Bündnis gegen Gewalt“?

„Im Kampf gegen Gewalt spielt zwar das Innenressort bzw. die Polizei eine wichtige Rolle, aber nicht die einzige. Mit der heute von mir eröffneten Koordinierungsstelle wird es künftig möglich sein, sämtliche Maßnahmen zum Thema Gewalt besser zu koordinieren, sei es interministeriell oder mit anderen externen Akteuren wie NGOs und Vereinen. Derzeit nähern sich die unterschiedlichen Akteure, ob Ministerien, Behörden, NGOs oder Vereine dem Thema sehr differenziert an. Sie sind oftmals nicht miteinander vernetzt und kommunizieren daher auch nur sehr eingeschränkt. Dadurch geht sehr viel an Information verloren, viele Themen werden zudem parallel abgearbeitet, die Informationen fließen nicht zusammen. Die neu geschaffene Koordinierungsstelle soll hier Abhilfe schaffen.

Ziel ist es, möglichst alle interessierten Akteure ins Boot zu holen, um gemeinsam Schritte gegen Gewalt zu setzen.“

Welches sind nun nach der Gründung die weiteren Schritte?

„Zur Zeit erstellen wir eine IST–Standsanalyse. Wer macht was? Was tut die Polizei, was machen NGOs …, daraus ergibt sich die Koordination des gemeinsamen Vorgehens. Wir planen 4 mal jährlich Workshops, um Zukunftsmodelle zu entwickeln. Dazu ist eine Etablierung der interministeriellen Programm-/Projektorganisation inkl. Infrastruktur notwendig inklusive der Einbindung der externen wissenschaftlicher Begleitung durch Univ.-Prof.  Dr.  Rotraud A. Perner. Es wird ein Anti-Gewalt-Masterplan mit der Definition umsetzungsrelevanter Subprojekte erarbeitet werden.“

Was wird der nächste „Meilenstein“ sein?

„Eine gemeinsame Veranstaltung, im Rahmen des Tages der offenen Tür des BM.I, wo unter anderem eine Vorstellung der Opferschutzeinrichtungen, eine Präsentation der bis dahin zusammengetragenen Informationen und Erkenntnisse, sowie eine Podiumsdiskussion stattfinden wird. Ich darf schon jetzt recht herzlich dazu einladen.“

Aus der Praxis

Gewalt in der Familie …

Eine Polizeibeamtin erzählt …

(Name und Dienstort sind dem HerausgeberInnenteam bekannt, werden jedoch aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht!)

„Nach langjähriger Polizeipraxis auf der Straße lernt man viele Bewohner in seinem Bezirk sehr gut kennen. An zwei von ihnen erinnere ich mich jedes Jahr zu Weihnachten: Es handelt es sich dabei um ein Pärchen, beide um die 50 Jahre alt. Kennengelernt und ineinander verliebt haben sie sich beim Alkoholentzug. Das war    vor zwölf Jahren. Damals dürften sie noch voller Energie  und  Zuversicht  gewesen sein, ein Leben gemeinsam und ohne Alkohol zu bestreiten. Die Fotos und Berichte,   die mir von der damaligen Zeit voller Stolz präsentiert worden sind, zeigen ein glückliches, verliebtes Paar.

Ich kenne die Beiden nun seit drei Jahren, vom damaligen Glück habe ich aber nichts mitbekommen. Der Entzug hielt nicht lange an.

Unser erstes Aufeinandertreffen war am Morgen eines 24. Dezembers, Einsatzgrund: Mann schlägt Frau! Schon bei der Anfahrt zu solchen Einsätzen steigt der Adrenalinpegel, Blaulicht, Sirene, Fragen kreisen durch den Kopf: sind Kinder dabei? Sollen wir gleich Verstärkung anfordern oder sondieren wir erst mal die Lage?

Schon beim Eintreffen im Stiegenhaus  – die betreffende Wohnung war im dritten  Stock – konnten wir unten Schreie einer Frau hören. Im Laufschritt nach oben, mit der Faust anklopfen – Aufmachen – POLIZEI – Stille. Die Tür ist versperrt, nochmalig die lautstarke Aufforderung sie zu öffnen. Die Tür öffnet sich, ein starker Geruch nach Alkohol schlägt mir und meinem Kollegen entgegen, dahinter in der Wohnung Verwüstung, zerbrochene Gläser, leere Schnapsflaschen und der Mann der mich und meine Kollegen fragend aus rot unterlaufenen Augen ansieht. Die Kollegen fordern ihn auf, sofort vor die Tür zu kommen. Er folgt der Anweisung. Die Kollegen verstellen ihm den Weg retour in die Wohnung, ich    gehe hinein. Im Wohnzimmer, zusammengekauert auf einem Sessel sitzt die halb nackte Frau, schluchzend presst sie sich ein Geschirrtuch an eine leicht blutende Platzwunde an der Schläfe. Ich setze mich hin und kann ihr so direkt in die Augen sehen, frage sie, ob sie sonst noch Verletzungen hat, ob ich die Rettung rufen soll. Sie verneint. Ich glaube ihr. Ich stehe auf und nehme eine Decke vom Sofa, lege ihr diese um die Schultern. Ein Kollege wirft einen Blick zu uns – Alles OK? – Ja – Alles unter Kontrolle. Ich setze mich wieder zur Frau: „Lebt hier sonst noch wer, haben Sie Kinder?“ Sie verneint, ich bin fast ein bisschen froh darüber, zumindest keine Kinder involviert, wenn schon Weihnachten ist … Ich helfe ihr, die Platzwunde provisorisch zu verarzten. Dabei beginnt sie zu erzählen. „Es war nicht das erste Mal, dass so was passiert ist, der Alkohol, das Geld, wenn er besoffen ist, rutscht ihm halt die Hand aus“, sagte sie. Zwei Monate zuvor sei sie deswegen bereits einmal im Krankenhaus gewesen, erzählt habe sie damals aber niemandem davon.

An diesem Punkt war die weitere Vorgehensweise geklärt für mich, Wegweisung des Mannes zum Schutz der Frau vor weiteren Gewalttaten! Kurze Absprache mit den Kollegen, die dem Mann die Sachlage und die damit verbundenen Konsequenzen erklärten.

Ich redete weiter mit der Frau, wirkte beruhigend auf sie ein, versuchte mit Verständnis und Feingefühl ihre extreme Gefühlswelt etwas zu glätten, dann war Lärm vom Gang zu hören. Der Mann war mit der Wegweisung nicht einverstanden und wurde gewalttätig … Die Folge: Keine Wegweisung mehr, stattdessen Handschellen wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Ich war froh, dass keiner ernstlich verletzt worden ist! Die psychischen und physischen Narben der Frau waren ohnedies schon zu viel! Um die Frau nicht allein ihrem Schicksal zu überlassen – Verwandte oder Freunde hatte die Frau keine in der Nähe – wurde der psychosoziale Notdienst hinzugezogen. Er nahm sich – als in den Wohnungen nebenan die Bescherung im Gange war – der Frau an.

Das nächste Mal sah ich die Beiden vor Gericht: Es war die Verhandlung wegen des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Sie hielten Händchen, die Frau mit gesenktem Blick und dunklen Ringen unter den Augen.

Lieber würde ich hier das Happy End schreiben, trotzdem wünsche ich … Frohe und vor allem friedliche Weihnachten!“

Gewalt aus psychologischer Sicht …
OR Ing. Mag. Herwig Lenz

Leiter der Kriminalprävention & Opferhilfe des Bundeskriminalamtes

„Die Begriffe Gewalt und Aggression lassen sich auf sehr unterschiedliche Weise durch wissenschaftliche Theorien erklären. Das heißt, dass es nicht nur eine Theorie bzw. Erklärung für diese Begriffe gibt, sondern eine Vielzahl derer die sich untereinander ergänzen oder sogar in Konkurrenz zueinander stehen.

Aus psychologischer Sicht entstehen Aggression und Gewalt aus den inneren, psychischen Vorgängen einer Person, welche mit Lernprozessen vergleichbar sind. Jedoch ist auch die soziologische Sicht in Betracht zu ziehen, nach der Gewalt aufgrund gesellschaftlicher Bedingen hervorgebracht wird. Zu nennen wären hier die unmittelbaren Einflüsse, die auf eine Person einwirken, wie zum Beispiel  Familie, Schule und Freundeskreis.

In der Psychologie kennt man verschiedene Arten von Aggressionstheorien. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen kommt es oft zu einer Vermischung von Frust-, und Lerntheorie.

Diese reagieren oft mit „Gewalt“, wenn sie keine anderen Möglichkeiten mehr sehen, in der Gesellschaft die vorherrschenden Ziele zu erreichen.

Die Aggression wird in der Psychoanalyse als hilfloser Versuch, Gefühle der Angst und Bedrohung zu kontrollieren, gedeutet. Somit ist sie ein psychisches Notsignal für Ängste, die aufgrund eines mangelnden Selbstbewusstseins bzw.  zu  wenig  Akzeptanz, Anerkennung sowie Zuwendung hervorgebracht werden.“

Mag. Herwig Lenz

Zum Nachlesen | Buchtipps

Unsere Buchtipps wurden diesmal dankenswerter Weise von den MitarbeiterInnen am „Bündnis gegen Gewalt“ im Bundeskriminalamt zusammengestellt.

Gewalt in der Schule

Hurrelmann / Rixius / Schirp
Weinheim 1999

Gewalt – kaum ein anderes Thema hat die Öffentlichkeit in letzter Zeit so intensiv beschäftigt. Der Ratgeber will Eltern und Lehrkräften helfen, mit Gewalt im Umfeld von Schule umzugehen, und bietet dazu vielfältige Beispiele aus der Praxis.Das Problem „Gewalt in der Schule“ hat in den letzten Jahren erschreckend zugenommen, und immer häufiger stellt sich die Frage, ob die Schulen ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag noch gerecht werden. Dabei verhindern die oft sensationsheischenden Berichte in den Medien eher, daß SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen miteinander ins Gespräch kommen, das Thema Schule und Gewalt anpacken und sich fragen: Was sind die Ursachen? Wie sollen wird darauf reagieren? Fest steht: Allgemeingültige und mit Erfolgsgarantie versehene pädagogische Interventionsmöglichkeiten gibt es nicht. Wie man gegen Gewalt vorgeht, hängt von der Situation und den Beteiligten ab. Neben einer Einführung aus soziologischer und pädagogischer Sicht bietet der Ratgeber eine Fälle von praktischen Beispielen, was man tun kann: Schule-, Familien- und Jugendarbeit- Selbsthilfegruppen und Initiativen von Eltern, Schülern und Gemeinden – wie man sich in akuten Gewaltsituationen verhält – Trainingsseminare und Werkstätten-Infoteil mit  Adressen von Einrichtungen und Beratungsstellen.

Klaus Hurrelmann
Jg. 1944, Dr. sc. pol., ist Professor an der Uni Bielefeld und Direktor des Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik.

Lernfall Aggression

Hans-Peter Nolting
Rowohlt, 2005

Ein Klassiker der Aggressionsforschung, vollständig überarbeitet: Anders als die meisten Bücher zum Thema, die sich vorwiegend mit den Formen und Ursachen menschlicher Aggression befassen, widmet sich das vorliegende Grundlagenwerk in gleichem Maße den Möglichkeiten der Aggressionsverminderung.

Dr. Hans-Peter Nolting
lehrt Pädagogische Psychologie an der Universität Göttingen  und ist dort mit der Lehrerausbildung betraut.

Tödliche Konflikte

Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege
Fritz B. Simon
Carl-Auer-Systeme Verlag, 2001

Es vergeht kein Tag, ohne dass uns Nachrichten von Konflikten in unserer näheren oder weiteren Umgebung erreichen, die sich zutreffend nur als Krieg bezeichnen lassen. Krieg kann als ein Konflikt verstanden werden, bei dem die beteiligten Parteien ihr Überleben riskieren. Das gilt nicht nur für Konflikte zwischen Nationen, sondern auch für andere soziale Einheiten wie Firmen, Organisationen, Stämme, Banden usw., ja, auch für Individuen. Beispiele sind das Duell oder die manchmal in Mord und Totschlag endenden Konflikte zwischen Ehepartnern. In diesem Buch werden die Entstehungsbedingungen von Kriegen aus systemtheoretischer Perspektive analysiert. Der Autor bezieht dabei sowohl biologische und psychoanalytische Modelle als auch soziologische Erkenntnisse ein. Ergebnis ist, dass solche Kämpfe im allgemeinen nicht um irgendwelcher wirtschaftlicher oder triebhafter Interessen Willen ausgefochten werden, sondern dass es um scheinbar so antiquierte Werte wie Ehre, Stolz und Status geht. Kriege sind nach Auffassung des Autors deshalb als Fortsetzung des Sports mit anderen Mitteln zu verstehen und, nicht zu vernachlässigen, als ultimative Form des Entertainments zumindest für die nicht direkt beteiligten Beobachter.

Fritz B. Simon
Dr. med. habil., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke. Systemischer Organisationsberater,   Psychiater,  Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut. Geschäftsführender Gesellschafter der Management Zentrum Witten GmbH und der Simon, Weber and Friends,  Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 200 wissenschaftlichen Fachartikeln und 20 Büchern, die in 10 Sprachen übersetzt sind.

Gewalt in der Schule

Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können
Dan Olweus
Huber Bern, 4. Auflage, 2006

Gewalt unter Schulkindern ist zweifellos ein sehr altes Phänomen. Die Tatsache, dass einige Kinder häufig und systematisch von anderen Kindern gemobbt und angegriffen werden, wurde in Werken der Literatur beschrieben, und viele Erwachsene  haben damit Erfahrung aus ihrer eigenen Schulzeit. In den letzten Jahren hat dieses Problem an Schärfe deutlich zugenommen. Der  Norweger Olweus hat nun ein Interventionsprogramm entwickelt, das Abhilfe schaffen kann. Wie reagiert man pädagogisch richtig auf die Gewaltopfer? Wie kann man in der Schule, in der Klasse und im Konflikt mit einzelnen Schülern und Schülerinnen der Gewalt entgegenwirken? Das nachweisbar erfolgreiche Programm wird inzwischen an vielen Schulen der skandinavischen Länder, in Grossbritannien, Deutschland und in der Schweiz eingesetzt.

Ernstfall Kindermobbing

Das können Eltern und Schule tun
Frank Schallenberg
Claudius, 2004

Die Gewaltbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen hat dramatisch zugenommen. Für viele Kinder ist Mobbing in der Schule oder Freizeit längst bittere Realität. Und das besonders Perfide dabei: Häufig werden die ständigen Bedrohungen übersehen oder nicht ernst genommen; die Kinder fühlen sich allein gelassen und ziehen sich zurück – mit nicht selten verheerenden Folgen für ihre Entwicklung.  Aufklärung  ist  also  dringend erforderlich. Das vorliegende Buch zeigt  anhand  zahlreicher  Fallbeispiele, wie Mobbing entsteht, welche Gefahren drohen und wie Eltern und Lehrer die Kinder schützen können.

Aggressives Verhalten

Franz Petermann, Manfred Döpfner & Martin H. Schmidt
Hogrefe Verlag, 2001

Der Ratgeber gibt eine knappe Übersicht über die Erscheinungsformen, die Ursachen, den Verlauf und verschiedene Behandlungsmöglichkeiten aggressiven Verhaltens. Eltern, Erziehern und Lehrern werden konkrete Hinweise zum Umgang mit dieser Problematik in Familie, im Kindergarten und in der Schule gegeben. Jugendliche erhalten außerdem Tipps zur Selbsthilfe.

Gewaltprävention an Schulen

Kessler, D, Strohmeier, Hrsg. ÖZEPS
in Kooperation mit dem Institut für Bildungspsychologie und Evaluation der Universiät Wien
2. veränderte Auflage, Wien, August 2009

 Diese Handreichung des ÖZEPS (Österr. Zentrums für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen, www.özeps.at) ist in Zusammenarbeit mit dem Institut für Bildungspsychologie und Evaluation der Universität Wien entstanden und bietet auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse einen ganzheitlichen Handlungsansatz zur Gewaltprävention an Schulen, der Schüler/innen, Lehrer/innen, Eltern und Schulstrukturen einschließt.

Um Gewalt an Schulen wirkungsvoll begegnen zu können, sind sowohl präventive Maßnahmen durchzuführen, durch die die Entstehung von  Gewalt  eingedämmt  werden kann, als auch Maßnahmen zu planen und zu trainieren, die im konkreten Fall einzusetzen sind.

Mit dieser Publikation werden alle Schulleiter/innen und Lehrer/innen ermutigt, gemeinsam gegen Gewalt vorzugehen und an den Schulen konkrete und koordinierte Maßnahmen einzusetzen. Dazu wird von den Autorinnen sorgsam ausgewähltes Material angeboten, um die Ursachen von Gewalt besser zu verstehen und Konzepte zur Gewaltprävention und –intervention an Schulen kennenzulernen,  zu  reflektieren und umzusetzen. Die in der Publikation dargestellten Methoden und Maßnahmen sind wissenschaftlich fundiert und praxisorientiert aufbereitet, sodass sie sofort auf der Klassen- und Schulebene umgesetzt werden können.

Die Handreichung ist als wesentlicher Baustein innerhalb der im Auftrag des bm:ukk entwickelten Generalstrategie zur Gewaltprävention „Gemeinsam gegen Gewalt“ zu sehen.

Bezugsadresse:

BMUKK, I/4a
E-Mail: erna.haas@bmukk.gv.at Telefon: 01/53120/4798
Als Download auf www.özeps.at

Bündnis gegen Gewalt

Beschreibung des „Bündnis gegen Gewalt“ auf der Homepage des BMI

http://www.bmi.gv.at/cms/BK/gegen_gewalt/start.aspx

Das Projektteam von www.haltgewalt.at und die MitarbeiterInnen der Koordinationsstelle „Bündnis gegen Gewalt“ wünschen

Friedliche Weihnachten und ein gewaltfreies Neues Jahr