Rotraud A. Perner[1]

SCHEITERN tun nur Schiffe

Über die Wirksamkeit von Worten

(Rekonstruktion eines in freier Rede gehaltenen Vortrags am 13. 4. 2019 in der evang. Pfarre Traiskirchen)

Im Wort „scheitern“ steht das Wort Scheit drinnen – also ein Stück abgespaltenes Holz wie etwa in Holzscheit, im Scheiterhaufen – oder symbolhaft in der gleichnamigen Speise. Es deutet an, dass das an ein Hindernis gestoßene Holzschiff körperlich in Scheiter zerbricht.

Wenn man dieses geistige Bild auf Menschen überträgt, die bekanntlich nicht in Scheiter zerbrechen können, wird der Mensch mit einer Sache – einem Schiff – gleichgesetzt. Er wird verdinglicht. Elisabeth Wehling (* 1983), eine derzeit in den USA lehrende und kürzlich auch in deutschen Fachkreisen berühmt gewordene Kognitionslinguistin, nennt dies „metaphoric framing“[2] – etwas mit einer Metapher „umrahmen“. Wenn man so wie ich bereits in den 1980er Jahren NLP (Neurolinguistisches Programmieren) gelernt hat, kennt man den Begriff des „Framens“: man „umrahmt“ etwas bewusst oder unbewusst (weil gewohnt) mit Worten, die geistige Bilder auslösen und in denen Bewertungen drinnen liegen. „Reframing“ ist dann eine Therapie- oder aber Manipulationsmethode, um die Bewertung und damit die Befindlichkeit von Leserschaft oder Zuhörerschaft zu verändern. (Beispiel: „Ihr Kind sehe ich nicht als schlampig an sondern als großzügig!“)

Mit dem Wort „scheitern“ wird Katastrophenstimmung erzeugt – deswegen sollte man, so meine ich, darauf verzichten, wenn man nur aussagen will, das ein Ziel nicht erreicht wurde. Es würde reichen, zu sagen, „das ist – mir, dir, uns, ihm, ihr – nicht gelungen.“ Aber um dieses „Reframing“ zu bewerkstelligen, braucht man Vorbilder: wir lernen immer an Vorbildern (auch das Lernen lernen!). „Lernen“ bedeutet in meiner Definition: Neurosignaturen bilden. (Deswegen formuliere ich regelmäßig: alles ist eigentlich ein Bildungsproblem!)

Wenn wir beispielsweise eine neues Wort hören wie „Stalking“ oder „Resilienz“ (denn die Phänomene dazu – zudringliches Verfolgen oder Stehaufmännchen-Kraft – gibt es schon seit langem), bilden wir dafür eine „Wahrnehmungsnervenzelle“ in unserem Sprachschatz, und wenn wir eine Methode gewinnen, wie damit umzugehen wäre, entwickeln wir dazu noch eine passende „Handlungsnervenzelle“. Je mehr solcher Neuronen wir besitzen, desto dichter ist unsere Neurosignatur und desto intelligenter sind wir.[3]

Der Beter im Psalm 69 verfügt offenbar nur über die Neurosignatur des Hilferufs – und das ist eine Möglichkeit (es gibt noch andere). Und er nutzt die Metapher des Ertrinkens – also eine menschlich-analoge zum sachlichen Schiffbruch.

Psalm 69:

Gott hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.

Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist.

Ich bin in tiefe Wasser geraten und die Flut will mich ersäufen.

Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser.

Viele Menschen bekommen von klein auf Katastrophenstimmung eingeredet, wenn sie etwas nicht „geschafft“ haben. Sie werden „beschämt“ und „schämen“ sich. In der Psychotherapie sagen dann viele Frauen selbstanklägerisch „Ich habe meinen Mann nicht halten können“ (und ich „reframe“ dann, „Aber ein Mann ist doch kein Hund an der Leine!“) und Männer „Ich habe die Ehe nicht geschafft!“ – wie wenn das eine sportliche Herausforderung wäre. Beides verweist darauf, dass wir heute in einer „Leistungsgesellschaft“ leben, in der wir Limits überwinden sollen, vor allem körperliche[4]: voll fit wie ein Leistungssportler, ohne Schwächen (die gehörten immer schnell abgestellt – mit Psychotherapie, Medikamenten, Doping oder anderen Drogen), ohne Erholungsbedürfnis, Schlaf inbegriffen, und ohne Rücksichtnahme. Die Verantwortung, diesem Modellbild aus Film und Werbung zu entsprechen, wird allein dem Einzelindividuum unterstellt – wie wenn nicht immer viele äußere Einflüsse einwirken würden! (Diese Methode der Angst- und Scham-Mache zählt zu den „hard-selling-Methoden).

 

Der franko-kanadische Transaktionsanalytiker Claude Steiner (mit österreichischen Wurzeln!) beschreibt dazu „3 Mythen der Macht“

  • Alle Menschen haben die gleiche Macht.
  • Der Mensch ist grundsätzlich machtlos.
  • Der „Mythos vom einsamen Glückesschmied“ (Jeder ist seines Glückes Schmied). [5]

 

Damit wird suggeriert, dass wir uns selbst „erlösen“ können, wenn wir uns nur „richtig“ bemühen (was dann andere beurteilen). Was uns als „richtig“ suggeriert wird, habe ich in meinem Buch „Die reuelose Gesellschaft“[6] aufgezeigt: Wenn man nämlich kritisch beobachtet, welche „Tugenden“ wir heute verwirklichen sollen, fällt eine unheimliche Parallel zu den sogenannten 7 Hauptsünden auf:

  • Gier: wir sollen unersättlich konsumieren – dafür wird „die Kaufkraft gestärkt“ (aber bei wem?) – und vielfach sogar Suchtverhalten initiiert.
  • Trägheit: wir sollen nicht aufmucken sondern brav vor den elektronischen Medien dahindämmern (und die Lust an der Selbstwirksamkeit gegen angeblich ungefährliches – für wen? – depressives Resignieren à la „Es hat ja keinen Sinn!“ vertauschen).
  • Zorn: wir sollen aggressiv neue Märkte erobern (wobei auch – private wie berufliche – Beziehungen primär als Markt definiert werden).
  • Geiz: von „Willkommen in Schlauberg“ bis „Geiz ist geil“ – diese Hinweise sind wohl aussagekräftig genug.
  • Stolz: wir sollen ein Image (Bild genügt –Wirklichkeit zu anstrengend!) aufbauen, im Zweifelsfall Imageberater „zukaufen“.
  • Unkeuschheit: im „blind date“ oder mit antrainierten Flirt- und Grooming-Techniken die Brauchbarkeit eines anderen Menschen für das eigene Wohlbefinden testen bzw. für den eigenen Lustgewinn zu „nutzen“, und bei Unbrauchbarkeit zu „entsorgen“, also nicht Beziehung sondern „Verdinglichung“.
  • Neid: immer im scheelen Beobachten anderer nach Wettbewerbsvorteilen Ausschau halten und die eigene Überlegenheit verfolgen … „weil wir halt in einer Konkurrenzgesellschaft leben“.

 

Der eigene Wille ist dabei das Werkzeug, sich gegen andere, die als Feinde fantasiert werden, durchzusetzen. „Wo ein Wille, da ein Weg“ suggeriert der Volksmund – er sagt aber nicht, wessen Wille!

 

Der österreichisch-israelische Religionswissenschaftler Martin Buber (1878 – 1965) hingegen formulierte: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes“[7].

 

1 Petrus 4, 1 – 3:

Weil nun Christus im Fleisch gelitten hat, so wappnet euch mit demselben Sinn: denn wer im Fleisch gelitten hat, der hat aufgehört mit der Sünde,

 

Dass er hinfort noch die übrige Zeit im Fleisch nicht den Begierden der Menschen, sondern dem Willen Gottes lebe.

 

Denn es ist genug, dass ihr die vergangene Zeit zugebracht habt nach heidnischem Willen, als ihr ein Leben führtet in Ausschweifung, Begierden, Trunkenheit, Fresserei, Sauferei und gräulichem Götzendienst.

 

Wir sind gegenwärtig in der Fastenzeit – der Zeit der Reinigung, des Loslassens, des Raumschaffens – nämlich von Raum im Herzen: Raum, für

  • Hoffnung: damit meine ich, über den kurzen Zeitraum des Gegenwärtigen hinwegsehen zu können auf das Mögliche der Zukunft. Wenn wir im Schmerz oder Trauern „die Luft anhalten“, uns quasi tot stellen, verweigern wir uns dem Leben. Deswegen ist Atmen so wichtig: ein, das bedeutet Weitung – aus, das bedeutet Loslassen, was nicht mehr nährt. Stoffwechsel – auch seelisch geistig. Damit Neues Platz hat. Das ist der Rhythmus des Lebens.

Eric Hoffer (*1902 – 1983) schreibt: „Es gibt zwei Arten von Hoffnung: Die eine wirkt wie Sprengstoff, während die andere diszipliniert und geduldig macht. Diese Unterscheidung beruht allein auf der Entfernung vom erhofften Gegenstand. Es ist der Unterscheid zwischen unmittelbarer und entfernter Hoffnung.“[8]

  • Vertrauen: damit meine ich die Entspannung durch das tiefe Atmen, in dem wir uns öffnen für Ungeahntes, Ungedachtes, Unerwartetes. Daher sehe ich Appelle wie „Konzentrier dich!“ als unpassende Aufforderung sich anzuspannen und zur Waffe zu verengen. Es sollte stattdessen „Zentrier dich!“ heißen: die eigene Mitte finden, denn dort befindet sich das Herz, und: das Mitgefühl.

Der Historiker David Brooks  (* 1961) betont, „dass es in Ordnung ist, Schwächen zu besitzen, da jeder von uns Mängel hat. Sünde und Versagen sind in unser Leben eingewoben. Wir alle straucheln, und die Schönheit und der Sinn des Lebens liegen in diesem Straucheln – darin, dass wir das Straucheln erkennen und danach streben, im Lauf der Jahre anmutiger und würdevoller zu werden.“[9] Das aber nicht nur auf sich selbst anzuwenden, meine ich, sondern es auch anderen zu ermöglichen, bedeutet Menschsein.

  • Liebe: Wenn man das Herz öffnet, können alte verdrängte Schmerzen, Enttäuschungen und auch Trauer ins Bewusstsein treten, und davor wollen sich viele Menschen schützen. Aber genau durch diese Herzöffnung im Schmerz führt der Weg des Einfühlens – in sich selbst wie in andere – und ins Lieben. Und dazu gehört auch die Selbstliebe – sich nicht zu verachten, weil man nicht „perfekt“ ist, sondern sich selbst vergeben – den Makel wie auch den hochmütigen Wunsch nach Perfektion.

 

Perfekt sein bedeutet vollendet, vollständig. Beides als mangelnd vorzuwerfen, wird vielfach „benutzt“, um andere zu verunsichern und sich selbst über sie zu erhöhen (und insgeheim an ihrer individuellen Entfaltung zu hindern). Dabei bedeutet Vollständigkeit ja, Fehler, Mängel, Schwächen zu haben! Ganzheit umfasst immer auch die Schattenseiten (s. die o. a. „7 Hauptsünden“, die ich mich in meinem Buch „Die reuelose Gesellschaft“ als vereinfachtes Psychopathologie-Lehrbuch der 7 großen psychiatrischen Erkrankungen zu enttarnen bemüht habe)! Wenn man sie „weiß“ – ins Licht gebracht hat –, dann kann man sie kontrollieren und so – in Entsprechung des obigen Zitats –  würdiger und anmutiger gestalten.

 

1 Petrus 4, 8:

Vor allem aber habt untereinander beständige Liebe; denn „die Liebe deckt auch der Sünden Menge (Sprüche 10,12).

 

Eric Hoffer meinte, „Die Freiheit verschärft das Gefühl der Enttäuschung. Mindestens ebensosehr, wie es  sie abschwächt. Die Freiheit der Entscheidung lädt alle Verantwortung für Fehlschläge auf den Einzelnen. In dem Maß, wie Freiheit zu einer Vielzahl von Versuchen ermuntert,  vermehrt sie zwangsläufig Fehlschlag und Enttäuschung.“[10]

Im Wort Verantwortung steckt das Wort Antwort und damit indirekt der Hinweis auf jemand Fragenden. Der sollte man selbst sein, also sich selbst fragen, weshalb man sein Ziel nicht erreicht hat: etwa weil es hybrid (unrealistisch, ungerecht, hochmütig etc.) war; weil man sich selbst oder die Übermacht bzw. auch den Machtmissbrauch Anderer unrealistisch eingeschätzt hat; weil man „es jemand zeigen wollte“ … Alles „Sünden“ (vom Wortstamm „sondern“ wie in „besonders“ / „sonderbar“ oder „sich absondern“) und damit Abspaltungen aus einer humanen, integrativen Gemeinschaft.

Genau das ist das unterschwellig oder auch sichtbare Grundproblem: Anderes nicht zu verdammen, verfolgen, auszusperren oder gar zu vernichten, innerseelisch wie auch sozial. Kein Gegeneinander zu schaffen sondern ein Miteinander. Geistige Schöpfungskraft zu nutzen um Humanität zu verwirklichen.

 

2 Tim 1,7:

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

[1] Rotraud A. Perner ist promovierte Juristin und akadem. zertifizierte Erwachsenenpädagogin, mehrfach ausgebildete Psychotherapeutin/ Psychoanalytikerin und evang. Theologin (NÖ Hochschulpfarrerin im Ehrenamt).

[2] Elisabeth Wehling, Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Edition Medienpraxis, Köln: Halem 2016.

[3] Vgl. Joachim Bauer, Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone.  Originalausgabe Hoffmann und Campe, Hamburg 2005, Seite 36 f.

[4] Walter Hollstein, Die Gegengesellschaft. Alternative Lebensformen. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1981, Seite, 134 ff.

[5] Claude Steiner, Macht ohne Ausbeutung. Zur Ökologie zwischenmenschlicher Beziehungen. Junfermann Verlag, Paderborn 1985, Seite58.

[6] Rotraud A. Perner, Die reuelose Gesellschaft. Residenzverlag, Salzburg 2013.

[7] Frankfurter Hefte 6, Bonn 1951, Seite 195 f.

[8] Eric Hoffer, Der Fanatiker. Eine Pathologie des Parteigängers. (Im Original: The True Believer.) Rowohlt  Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1965, Seite 30 f..

[9] David Brooks, Charakter. Die Kunst, Haltung zu zeigen.  Kösel Verlag, München 2015, Seite 441.

[10] Eric Hoffer, s. o. Seite 31 f.