Nein, hier soll nicht von den täglichen Gefahren der Blaulichtberufe (Feuerwehr, Polizei, Rettung) die Rede sein, deren Gesundheit und Leben im Einsatz für die Allgemeinheit massivsten Schaden erleiden kann – und auch nicht von ihrem Gegenpart, den Rotlicht-Berufen, in denen es oft auch recht gefährlich werden kann.

Es geht um die dritte Gruppe von „Helfer“-Berufen, die von dem positiven Vorurteil umrahmt sind, sie würden immer nur das Beste für ihre Patient:innen, Schüler:innen oder auch Gemeindemitglieder beabsichtigen.

Augenblicklich steht ein 56jähriger Urologe wegen schwerer Körperverletzung mit Dauerfolgen, grob fahrlässiger Körperverletzung und schweren Betrugs vor Gericht: „Retter in der Not soll Patienten verpfuscht haben“ titelt die Tageszeitung Kurier (04.11.2021, S. 20) – nämlich Männer mit Erektionsproblemen mit falschen Diagnosen (so das Gericht), einer in Österreich nicht anerkannten Operationsmethode und unrichtigen Versprechungen („minimal invasiver Eingriff ohne Risiko“) zur Operation motiviert zu haben. Dass diese nicht erfolgreich war – und zwei der betroffenen Patienten sogar Suizid verübten – führte der Arzt darauf zurück, dass sie „voreilig“ waren, also die verordnete „vollständige Ruhe“ (ich ergänze: nämlich die sexuelle) nicht eingehalten hätten.

Der Prozess wurde vorerst vertagt. Vermutlich müssen noch Gutachten eingeholt werden.

Das ändert aber nichts daran, dass vielfach Patient:innen aus Gründen zu Operationen gedrängt werden, die nicht in deren Interesse liegt, sondern – ganz im Gegenteil – nur im Interesse des Operateurs „in spe“ (lateinisch: „in Hoffnung“). Im konkreten Fall vielleicht aus „selbststilisierenden“ Gründen, wie die Tageszeitung Österreich vermutete:

Donnerstag, 04.11.
Prozess gegen Dr. Aufschneider

Urologie-Patienten impotent +++ Zwei begingen nach OP Selbstmord

Er wollte als Guru auftreten und brillieren -doch seine Patienten trieb er ins Unglück.

Wien. Es geht um den mit der Abwicklung von PCR-Tests für das Land Tirol unter Beschuss geratenen Gründer einer Pharmafirma, der mit dem Prozess gegen ihn am Landesgericht Wien auch als Urologe und Androloge in die (negativen) Schlagzeilen geriet: Laut Anklage soll er sich gegenüber sechs Patienten, die sich zwischen 2013 und 2017 mit Erektionsproblemen an ihn gewandt haben, als Retter in der Not dargestellt, sie begutachtet und eine Falschdiagnose erstellt haben.

Ein vorgebliches venöses Leck in der Penisvene habe in Wahrheit gar nicht bestanden. Dennoch habe der Angeklagte die Männer einem von ihm selbst entwickelten OP-Verfahren unterzogen -sprich: aufgeschnitten. „Er hat sie als Versuchskaninchen verwendet“, so die Staatsanwältin.

Leiden. Die Folge: schwere Körperverletzung mit Dauerfolgen, weil die Betroffenen bis zum heutigen Tag an den Folgen der Eingriffe leiden. Zwei weitere Männer sollen Monate und Jahre gebraucht haben, um sich von der OP zu erholen, zwei Opfer nahmen sich das Leben. Der Angeklagte zeigte sich vor Gericht nicht geständig und extrem arrogant: Er sei ein führender Experte, seine Erfolgsquote liege bei 80 Prozent, die Betroffenen hätten sich nicht an den Heilplan gehalten. Vertagt. Nächster Prozesstermin ist im Februar. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Oder auch aus rein finanziellen? Immerhin ist der Arzt (s. Österreich-Bericht) auch wegen seiner ökonomischen Betriebsamkeit in mediale Kritik geraten. Dass es daran liegt, dass Jungärzte eine bestimmte Anzahl von Operationen für ihre Qualifizierung benötigen, ist bei dem 56jährigen hingegen wohl auszuschließen … nicht aber der notorische Mangel an tiefenpsychologischer Selbsterfahrung und Supervision.

Es sind primär hochinteressierte Allgemeinmediziner:innen, die die 3 von der Ärztekammer angebotenen aufeinander aufbauenden Psycho-Minilehrgänge (psychosoziale, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin) absolvieren und dann hilfreiche Gespräche mit den Krankenkassen verrechnen dürfen. (Im ersten durfte ich früher auch unterrichten und kann mich noch gut an deren interessierte Fragen erinnern.) Für alle „einschneidenden“ Fächer wäre die Kompetenzerweiterung allerdings wiederholt verpflichtend vorzuschreiben – vor allem, um sich mit unbewussten sadistischen Neigungen auseinander zu setzen. Vor allem auch dann, wenn es um die verborgenen Bewertungen von Männlichkeit (und logischerweise auch Weiblichkeit) geht.