Lange bevor NLP in den 1980er Jahren in Österreich bekannt wurde, hatten findige Parteitrainer bestimmte Taktiken selbst herausgefunden – aus welchen Quellen sie fündig geworden waren, wurde nicht gesagt. So erinnere ich mich gut an die allerersten Schulungen, die ich in ab 1970 besuchte, in denen der damalige „Parteipsychologe“ der SPÖ Dr. Milo Beran uns eintrichterte, in welcher Sprachform wir mit Menschen unterschiedlicher Milieus reden sollten: Mit Ungebildeten im Soziologendeutsch, mit Hochgebildeten möglichst derb bis ordinär. Und wir sollten in allen Gesprächen womöglich immer „Wir von der SPÖ“ einbauen – Betonung auf SPÖ – damit sich der Parteiname im Gedächtnis verankere.

„Wir von der SPÖ“ sollte zum „Mem“ werden und einen Sympathie-Sog erzeugen.

Ein Mem, schreibt der Schöpfer dieses Neologismus (= Wortneuschöpfung), der britische Zoologe, Evolutionsbiologe und Radikalatheist Richard Dawkins (* 1941), ist „ein Substantiv, das die Assoziation einer Einheit der kulturellen Vererbung vermittelt“. Er suchte dazu, berichtet er in seinem Buch „Das egoistische Gen“ (1978), nach einem einsilbigen Wort, das ein wenig wie Gen klingt. Er erklärt die Bedeutung: „Beispiele eines Mems sind Melodien, Gedanken, Schlagworte, Kleidermode, die Art, Töpfe zu machen oder Bögen zu bauen. So wie Gene sich im Genpool vermehren, indem sie sich mit Hilfe von Spermien oder Eiern von Körper zu Körper fortbewegen, so verbreiten sich Meme im Mempool, indem sie von Gehirn zu Gehirn überspringen mit Hilfe eines Prozesses, den man in einem allgemeinen Sinn als Imitation bezeichnen kann. Wenn ein Wissenschaftler einen guten Gedanken hört oder liest, so gibt er ihn an seine Kollegen und Studenten weiter. Er erwähnt ihn in seinen Aufsätzen und Vorlesungen. Kommt der Gedanke an, so kann man sagen, dass er sich vermehrt, indem er sich von einem Gehirn zum anderen ausbreitet …“ (Seite 226 f.)

Was unter uns WissenschaftlerInnen zum kollegialen und durchaus auch kritischem Austausch zählt, kann aber auch gezielt als Propaganda genutzt werden. George Orwell hat in seinem beängstigendem Zukunftsroman „1984“ (verfasst  1946–1948) ein dazu beauftragtes „Ministry of Truth“ („minitrue“) beschrieben … Die Parallelen zur deutschen Vergangenheit waren beabsichtigt.

Solche anscheinend minimale Wortneuschöpfungen zeigen sich beispielsweise in Umkehrworten wie „Ausreisezentren“ statt „Aufnahmestelle“ oder seinerzeit bei Wolfgang Schüssel in „Pensionssicherungsreform“ anstelle von „Pensionsreform“ oder aktuell „Machtbesoffenheit“ gegenüber dem gewohnten „Machtrausch“. Es geht um Aufmerksamkeitsgewinn durch eine ungewohnte Umgestaltung, wobei man damit rechnet, dass die Zuhörerschaft irritiert aufhorcht und durch diesen winzigen Verlust von „Gewohnheitsträge“ (Wortschöpfung von mir!) den „Neusprech“ (zit. Orwell) als Bereicherung ihres Sprachschatzes weiter verwendet – und damit zu seiner Weiterverbreitung als Mem beiträgt. Aber auch permanente Wiederholungen – z.B. derzeit des Wortes „Stabilität“ – zielen nur darauf, die sprechende Person im Gefühlsleben des Publikums mit diesem Begriff zu verbinden, damit man genau das von ihr erwartet, egal, ob sie die Realisation überhaupt bewerkstelligen kann.

Deswegen spreche ich z. B. von Gewaltverzicht und nicht von Gewaltfreiheit: Wir sind so lange nicht frei von Gewalt, solange wir unsere Energie darauf verwenden, dass andere das tun, was wir wollen. Man muss die eigene Gewalt und Manipulationstaktik – beispielsweise auch durch Sprache – bei sich selbst erkennen und ablegen.