Dass es schon vor ihrer Berufung als Justizministerin aus Reihen der Freiheitlichen Partei ausgegangen ist, die Rechtsanwältin Alma Zadic einzig auf ihren Geburtsort hin zu definieren  und ihr dazu noch eine Legende von einer angeblichen Verurteilung und eine von einem angeblichen islamischen Religionsbekenntnis anzudichten, ist in den seriösen Medien hinlänglich korrigiert worden.

Von dem berühmten deutschen Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890–1935) – der ohne abgeschlossenes Jus-Studium auf Grund einer exzellenten Dissertation sogar „summa cum laude“ promoviert wurde! und dessen Geburtstag sich heute, am 09. Jänner, zum 130. mal jährt – stammt der Aphorismus „Die meisten Antisemiten sagen mehr über sich selber aus als über ihren Gegner, den sie nicht kennen.“ (https://tucholsky.de/die-meisten-antisemiten/ ) Ich ergänze: Und den sie auch gar nicht kennen lernen wollen.

Kennen lernen bedeutet vor allem auch „erkennen“. Schon in der Bibel heißt diese Botschaft sinngemäß „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ (1 Johannes 2, 1–6) – nämlich welche Gesinnung hinter den jeweiligen Taten steckt. Und in Antoine de Saint-Exupérys Kultbuch „Der kleine Prinz“ weiß der kluge Fuchs, „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ Das wissen alle, die jemand – etwas – lieben, geliebt haben und nicht aufhören, in dieser Liebe zu bleiben. Zum Beispiel eine neue Heimat und vor allem auch die Menschen in dieser neuen Heimat, die bereit sind Verantwortung zu teilen.

Alma Zadic hat in einem Vortrag vor jungen Menschen beschrieben (https://www.youtube.com/watch?v=mpiNFYTi8BM), welche Erfahrungen sie in einer Schule gemacht hat, in der sie als einziges Migrantenkind nicht akzeptiert wurde und danach in einer anderen, in der sie nicht mehr alleinige Außenseiterin war und wie alle, die es nötig hatten (auch Inländerkinder), gefördert wurde. Ihre beachtenswerte Karriere ist ein Musterbeispiel, was Förderung, vor allem aber Akzeptanz bewirken kann. Dass sie ihre Kompetenz dem österreichischen Staat und seiner Bevölkerung zur Verfügung stellt (statt als Rechtsanwältin mehr zu verdienen), verdient Anerkennung – und auch da steckt das Wort kennen drin: Man muss eben bereit sein, mehr zu erfahren – auch um selbst erfahrener zu werden, statt mangels Wissen auf Legenden herein zu fallen (was in Zeiten von „fake news“ ohnedies schwer genug ist).

Erfahrener werden zu wollen, bedeutet, zumindest sich selbst zuzugeben, dass man Bildungsbedarf hat – und das fällt manchen schwer, wenn sie bemerken, was jemand anderer mit Fleiß und Zähigkeit (und vielleicht auch ererbter (!) Begabung) zustande bringt und sie selbst nicht konnten – egal aus welchen Gründen. Dabei haben wir seit den (echten) Bildungsoffensiven der 1970er Jahre (entgegen den heutigen Verwaltungsreformen, die sich nur als Bildungsreformen maskieren) nicht nur einen zweiten sondern sogar einen dritten – und erwartungsgemäß mit zunehmender Digitalisierung vermutlich bald einen vierten Bildungsweg für alle, die geistig und sozial (und nicht nur materiell) mehr aus sich machen wollen – Betonung auf wollen.

Ich stehe solidarisch zu Frau Zadic – nicht nur, weil ich die Tochter eines tschechischen Vaters bin (und auch vom Erstberuf Juristin), sondern weil mein Vater als Sohn eines kleinen Schneiders sich seine Bildung bereits als Mittelschüler mit Arbeit auf Kohlenrutschen und sein Mittelschullehrer-Studium mit Nachhilfestunden selbst finanziert hat. (Er war als Mittelschuldirektor in Niederösterreich legendär – zuletzt sprach er 27 Sprachen – und lehrte sie auch – z. B. haben Michael Haneke und Hans Gratzer bei ihm Französisch gelernt, und ich war manchmal mit dabei). Und er hat sich auch als Gemeinderat in Laa und Gewerkschafter in Wr. Neustadt immer in der Förderung Benachteiligter engagiert: Bei uns daheim saßen z. B. immer „schwache“ Schüler, denen er kostenlos Nachhilfe gab. Ich bemühe mich, diesem seinem Vorbild (es gab auch anderes …) zu folgen.