Soeben habe ich auf Oe24-TV gesehen, dass Michael Ludwig die Wahl zum neuen Wiener SPÖ-Vorsitzenden gewonnen hat.

Seitdem ich als Pfarrerin (im Ehrenamt) ordiniert bin, versuche ich, mich auch privat mit Sympathiekundgebungen zurückzuhalten und nur mehr die Phänomene tiefenpsychologisch zu kommentieren, eine Herausforderung an Selbststeuerung! Aber als eine, die 15 Jahre (1973–1987) Mandatarin der SPÖ war, erinnert mich das Geschehen rund um die Häupl-Nachfolge doch an meine eigene erste Wahl-Erfahrung.

Ich hatte mich damals seit Mitte der 1960er Jahre im Arbeitskreis Mitbestimmung der Jungen Generation in der SPÖ Wien engagiert, vor allem in Hinblick auf Partizipationsmöglichkeiten in der Stadtgestaltung und im Wohnbau, aber auch in den Betrieben. (Zum Arbeitskreis Emanzipation der Frau kam ich erst nach meiner Wahl von der ich jetzt berichten will.) Viele Seminare gab es damals, man lernte einander persönlich aber auch die Treffs und damit die Stadt quer durch die Bezirke kennen und ebenso mehr historisch-politische Theorie als nur aus Bücherweisheiten und große Erwachsenenbildner und Zeitzeugen wie Karl Czernetz, Rupert Gmoser oder Josef Hindels. Damals wurden aber auch schon Sozialkompetenzen vermittelt (nur hieß das damals noch nicht so): Kreativitätstechniken, Umgang mit Gruppendynamik, Schnell-Lesen, Autogenes Training. Was ich erst viel später begriff, war, dass „nebenbei“ nach möglichen „Zukunftshoffnungen“ geschaut wurde – so wie Fußballtrainer Jugendlichen beim Kicken zusehen.

Bei einem dieser Seminare zu Führungstechniken hörte ich erstmals die Begriffe „Führer durch Beliebtheit“ und „Führer durch Kompetenz“. Gegen Ende der Veranstaltung sollten wir einander nach diesen Kriterien Punkte vergeben. Wir waren rund zwanzig Personen und darunter nur zwei Frauen. So war das eben zu Ende der 1960er Jahre. Die Eveline bekam viele Sympathie-Punkte, ich hingegen die meisten Kompetenzpunkte. Bald darauf kandidierten wir in Konkurrenz um den einzigen Frauen-Platz im Vorstand, und ich gewann.

Bei der Nachfolge um den Wiener SPÖ-Vorsitz hat mit Michael Ludwig der „Führer aus Beliebtheit“ gesiegt — mit viel medialer Unterstützung, wurde er doch als „Mann von der Basis“ und „Rebell gegen das Partei-Establishment“ hervorgehoben; mit Fotos vor seiner Bücherwand sollte er dazu wohl als „eh auch“ Intellektueller dem potenziellen „Führer aus Kompetenz“ Andreas Schieder angeglichen werden, denn davon war bei ihm bisher nicht viel zu bemerken. Aber die Wiener Wohnbaustadträte erfreuten sich ja schon in der Vergangenheit größter medialer Beliebtheit (Kritiker sahen das als Ausfluss ihrer Möglichkeiten, Wohnbau-Inserate schalten zu lassen), und das wirkt auch aufs Wahlvolk.

Was aber nicht vergessen werden darf: Schon „zu meiner Zeit“ (und auch in der Ersten Republik) gab es in der Sozialdemokratie und ihren vielen Gruppierungen einen „linken“ und einen „rechten“ Flügel. Als ich Jus studierte, war im VSSTÖ der spätere Finanzminister Ferdinand Lacina der Frontmann der Linken, Hannes Androsch der der Rechten. Ich erinnere mich noch gut an eine Kampfabstimmung im VSStÖ-Lokal in der Werdertorgasse, in der plötzlich das Licht ausfiel, weil jemand listig im Erdgeschoss die Sicherungen herausgedreht hatte … und erinnere mich auch an die vielen geheimen „Paktationen“, welcher Bezirk welchen anderen für welche Zusagen unterstützen würde … alles wohlerprobte Methoden seit den Papstwahlen. Man übt ja für die ganz große Politik. (Deswegen sind ehemalige Spitzenpolitiker für „diplomatische“ Funktionen wie die Auswahl von Sportaustragungsorten auch bestens vorbereitet).