Irgendein Bühnenstar, männlich, ich glaube, es war Harald Juhnke, sagte einmal in einer Fernsehsendung über üppige Frauen: „Von einer schönen Frau kann gar nicht genug da sein!“

Daran musste ich denken, als sich anlässlich der fulminanten Darstellung von Offenbachs Eurydike in „Orpheus in der Unterwelt“ bei den Salzburger Festspielen ein Shitstorm über die amerikanische Koloratursopranistin Kathryn Lewek hervorbrach – aber nicht von irgendwelchen Patschenpaschas vor den Fernsehschirmen sondern von vorgeblich professionellen Musikkritikern in vorgeblichen Qualitätsmedien (Salzburger Nachrichten, 30.08.2019, Seite 7). Dass sich die Künstlerin dagegen mutig wehrte und sich nicht nur als erst kürzlich geboren habende Mutter outete sondern auch ihre Verletztheit öffentlich machte, zeichnet sie neben ihrer gesanglichen Leistung auch als doppelt couragiert aus. Immerhin gibt sie damit mehrfach Vorbild für Frauen, sich nicht „etikettieren“ zu lassen (Männer werden das höchstens im Wahlkampf von unfairen politischen Gegnern, die mit psychiatrischen Diagnosen um sich schmeißen, siehe newsletter@reply.oe24.at, „Brutalo-Duell zwischen Kickl und Brandstätter“), sich zu verbitten, an ihrem Äußeren und nicht an ihrer beruflichen Leistung gemessen zu werden, und dazu zu stehen, nach einer Geburt nicht gleich zur Fettabsaugung zu hasten (falls frau sich das überhaupt leisten kann) um dem männlichen Auge wohlgefällig zu sein.

Offensichtlich hatten die Kulturkritiker eine geistige Vorstellung, Eurydike, die Geliebte des „göttlichen“ Sängers (Musikers) Orpheus müsse eine sanfte, schmale und sensible Mädchenfrau sein. Dann haben sie aber den Plot von Offenbachs parodistischer Operette nicht erfasst bzw. akzeptiert – oder ihre eigene Berufsbestimmung mit der Damenwahl an der Bordellbar verwechselt: Offenbachs Eurydike ist ein temperamentvolles Vollblutweib – und so darf sie auch aussehen. Auf ein paar Kilo rauf oder runter kommt es da nicht an.

Ich hätte mir eher Jubelrufe erwartet – denn aus meiner Sicht müsste Kulturkritik auch bedeuten, den allgegenwärtigen Magerwahn zu kritisieren, besonders, wenn er von Frauen verlangt wird … denn ein Luciano Pavarotti oder Johan Botha durften einen Radames oder Parzival mit einem Mehrfachen an Leibesumfang darstellen und wurden nicht kritisiert. Man brauch ja nur all diese Opernstars zu googeln und sich ihre Bilder ansehen, dann merkt man den Unterschied.

Es gibt aber noch einen Aspekt: Ich erinnere mich daran, was Karl Lagerfeld sprach, als er, vorher eher dicklich, Ende der 1990er Jahre plötzlich mehr als erschlankte: Er sprach dabei ziemlich abfällig über seine dicke Mutter. Später war davon keine Rede mehr – aber ich weiß aus zahlreichen Therapien, dass auffallend viele Männer sich vor dicken Frauen ekeln. Ich führe das auf zweierlei zurück: erstens mit dem Aussehen ihrer eigenen Mütter, wenn diese ihre Mädchenfigur verloren haben und damit vielfach auch ihre Beweglichkeit und körperliche Wehrhaftigkeit; dann steigt ersatzweise meist die verbale Kampfkraft. Und zweitens mit dem Mysterium der Schwangerschaft: Mehr Gewicht bedeutet in seinem Doppelsinn ja nicht nur mehr Schwere sondern auch mehr Ansehen. In der Freud’schen Psychoanalyse wird der dicke Bauch der Schwangeren bzw. postnatalen Mutter oft dem erigierten Penis gleichgesetzt und quasi als unbewusste Machtdemonstration interpretiert. Und so wird sie ja oft auch von Männern erlebt. (Ich war einige Male Zeugin, wie schwangere Frauen von Männern verbal attackiert wurden, sie mögen sich doch nichts einbilden nur weil sie jetzt ein Kind bekämen.)

Dünne – knabenhafte – Frauen mit extrem schlanker Taille (dem Anzeichen, dass kein anderer Mann geschwängert hat) lösen selten Konkurrenzängste aus, sondern eher unbewusste Größenphantasien: Vom angeblichen Beschützerinstinkt (der in Wirklichkeit Bestätigung der eigenen Macht darstellt) bis zu latent homosexuellen Verführungsfantasien.