„Die oberösterreichische Hausärztin Lisa-Maria Kellermayer wurde zur Zielscheibe der Corona-Leugner.“ Heißt es als Untertitel zu „Ein Nachruf, der hier nicht stehen sollte“ im KURIER vom Samstag, 30. Juli 2022, Seite 10, und weiter: „Nun wurde sie tot in ihrer Praxis aufgefunden.“ Die 36jährige war monatelang – auch mit dem Tod – bedroht worden. Einen Security-Dienst hätte sie sich aus eigener Tasche bezahlt – und vier Mal seien Besuchern Butterfly-Messer abgenommen worden. Bereits im November 2021 hatte sie erstmals Anzeige erstattet, „aber keiner tat was“, heißt es weiter im Bericht, hingegen wurde getuschelt, die Ärztin sei „psychisch labil“.

Das ist genau dieses Wort-im-Mund-Umdrehen oder, wie ich immer wieder hinweise, „das Komma auf der Zeitlinie vor-zu-verschieben“, nämlich eine Folge zur Ursache zu erklären. Es ist doch logisch, dass jemand eine Zeit ruhig und souverän seinen bzw. ihren Beruf ausübt – und wenn er oder sie plötzlich massiv bedroht wird, die Ruhe verliert und in Panik gerät! Nur die Hartherzigen, seelisch Gepanzerten regen sich nicht auf – die sinnen nämlich meist gleich auf Rache – außer sie sind beruflich auf Nahkampf trainiert, wie eben die jeweilige Exekutivbeamtenschaft. Die wird in ihrer Ausbildung aber auch mit dem Strafgesetz vertraut gemacht – und da gibt es „gefährliche Drohung“ (§ 107 StGB) und den Stalking-Paragrafen („beharrliches Verfolgen“, § 107a StGB).

Leider erwarten viele – unbetroffene! – Personen, dass die Betroffenen genauso „cool“, d. h. kühl distanziert, reagieren sollten wie sie selbst. Wenn das aber jemand tut, dann wird dieser Person unterstellt, sie würde lügen, denn er oder sie entspricht damit nicht den Klischees, wie man sie aus Filmen kennt. Und dort reagieren die Weichherzigen, Mitfühlenden eben „gesund“, nämlich mit Sorge, Vorsorge – und wenn das nichts nützt, mit Angst.

Dass es aber Schockstarren, Dissoziationen, Disziplin – der Wiener Staatsopernbariton Clemens Unterreiner sang die komplette Partie des Scarpia in Puccinis „Tosca“ trotz auf der Bühne erlittenem Seitenbandriss fertig! – vor  allem aber auch verschiedene Abwehrformen gibt, wird meist nicht bedacht. Dazu bräuchte man eine psychoanalytische Schulung – wie ich sie in den vielen Trainings, die ich in den 1990er Jahren für das Innenministerium abgehalten habe, den Kriminalbeamten (damals nur Männer), und noch vor wenigen Jahren in meiner Lehrveranstaltung am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien den künftigen Jurist:innen (nachlesbar als Buch „Mit Recht und Seele“, www.aaptos.at) vermittelt habe.

Dann würde es wohl nicht zu solch einem fehlverhalten kommen, wie ich es tags zuvor in einem Posting auf Facebook lesen konnte (es folgt der Ausschnitt):

Michael Bonvalot – Zwischenrufe
Gestern um 16:22
Die Polizei hatte erklärt, dass sich Dr. Lisa-Maria Kellermayr verstärkt „in die Öffentlichkeit“ gedrängt habe und „ihr persönliches Fortkommen befördern“ wolle. Sie trage eine „Mitschuld“ an Drohungen. Jetzt ist sie tot, mutmaßlich durch Suizid. Das muss Konsequenzen geben.“

Mir hat heute jemand gemailt, es sollte einen Straftatbestand „Mobbing mit Todesfolgen“ geben. Eine überlegenswerte Anregung. Ich ergänze sie mit „Stalking mit Todesfolgen“.

Ich weiß von vielen Personen, männlich wie weiblich, mit denen ich psychotherapeutisch zusammengearbeitet habe, dass sie „hetzen“ als „a Hetz“ begreifen, und wenn sie jemand „zu Tode gehetzt haben“, dann entweder bass erstaunt sind – „das habe ich doch nicht erwartet / gewollt …“ – oder aber „abwehren“ mit „selber schuld“ – in diesem Fall: „Sie hätte ja keine Interviews geben müssen“.

Ich meine: Verantwortung muss wieder modern werden! Und unser öffentlicher Rundfunk / Fernsehbetrieb – oder aber ein privater, Hauptsache es geschieht irgendwo – sollte diese Bildungslücken schließen. Ich habe bereits 1995, als ich noch viel für den ORF arbeitete, dazu ein Sendungskonzept erstellt. Leider war dann plötzlich meine Ansprechperson Walter Schiejok weg, daher schlummert es seitdem in meinem Schreibtisch – aber vielleicht bekommt es jetzt einen Dornröschenkuss.