Kaum berichteten die Medien über Abgastests der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit (!) im Transportwesen, in denen zuerst „nur“ Affen, kurz darauf aber auch 25 junge gesunde Menschen (http://www.orf.at/#/stories/2424315) über mehrere Stunden dem Reizgas Stickoxyd ausgesetzt waren, kommt die Meldung, dass Gehirnforscher Bungee-Jumper 30mal von der Europabrücke springen ließen, um „das Bereitschaftspotenzial des menschlichen Gehirns unter Extrembedingungen“ zu messen (http://science.orf.at/stories/2892523).

Abgesehen davon, dass die „Messung“ der Wirkungen dieser „Experimente“ unmittelbar nachher nichts über mögliche Langzeitfolgen (z. B. in Hinblick auf die Plastizität, d. h. das Veränderungspotenzial, des Gehirns oder die Hormontätigkeit) aussagt, erinnern solche „Versuche“ frappant an die Menschenexperimente von Dr. Mengele & Co in den Konzentrationslagern der Nazis (Vgl. Reimund Schnabel, Macht ohne Moral – Eine Dokumentation über die SS. Röderbergverlag Frankfurt/Main 1957, S. 326 ff.). Die Häftlinge dort konnten sich nicht wehren. Aber was bewegt Freiwillige, ihre Gesundheit (und möglicherweise auch die ihrer Nachkommenschaft) derart aufs Spiel zu setzen? Bezahlung? Oder Lebensverdruss? Oder waren es Angestellte, die dem „Druck von oben“ nicht entkommen konnten?

Diese Informationen fehlen mir in der Medienberichterstattung.

Und mit fehlen Kommentare zu der „Entschuldigungskultur“, die sich derzeit breit macht, wenn eine Institution mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert wird. Die Betroffenheit nehme ich deren Repräsentanten schon ab – sicher ist man „betroffen“ wenn ein Vorwurf „getroffen“ hat. Und genau darum geht es auch: Wären die Entscheidungsträger „unberührt“ und „ungerührt“, müsste man ihnen jegliche Menschlichkeit absprechen. Genau diese gilt es aber einzufordern.

In meinem Buch „Sexuelle Reformation – Freiheit und Verantwortung“ (meine popularisierte theologische Masterarbeit im Bereich Sexualethik. LIT Verlag Münster 2017) habe ich meine Erfahrungen aus mehr als 40 Jahren Beratung und Therapie verdeutlicht: Auch wenn jemand einer „Praktik“ zustimmt (konsensuale Ethik), egal aus welchen Gründen auch immer – z. B. mangelnder Widerstandskraft, Feigheit, Gewohnheit, Neugier, Überraschung oder Retraumatisierung etc. – enthebt dies nicht der Verantwortung für die leibseelischgeistige Gesundheit des anderen (Verantwortungsethik).

Es ist wie bei ärztlichen Dienstleistungen: Man muss sich der möglichen Nach- und Nebenwirkungen bewusst sein und das braucht Aufklärung, am besten bereits im Biologieunterricht. Deswegen plädiere ich seit Jahrzehnten für mit-unterrichtende SchulärztInnen.