Der 10. September ist der Weltsuizidpräventionstag – und ich bin schon neugierig, wie er sich in den Medien widerspiegeln wird. Vermutlich mit Hinweis auf Statistiken und Beratungseinrichtungen.

Aber reicht das?

Sterben ist ja heutzutage – in einer Zeit der Jugendvergötterung, Altersabwertung und Krankheitsverachtung – das Tabuthema, obwohl der Mangel an Pflegekräften und deren zunehmender Fortbildungsbedarf im Umgang mit Demenzerkrankungen eigentlich zur Wahrnehmung der Realität zwingen müsste … aber wer will schon an vermutlich kommende eigene Schwächen gemahnt werden? An Abhängigkeiten? Vor allem aber an Gefühle von Hilflosigkeit? Dann, wenn Leben unerträglich erscheint?

Wenn ich – heuer (noch flotte) 77 Jahre alt geworden – mein Leben überblicke, so erinnere ich mich auch an Augenblicke in meinen Teenagerjahren, in denen ich glaubte, mein Leben nicht mehr ertragen zu können, und ich spüre dann wieder diese „heiße“ Empfindung, wie wenn einem das Herz zerreißen würde. Heute, in der Bewältigung vieler ähnlicher eigener wie fremder Situationen routiniert geworden, sehe ich in diesem „Brennen“ vor allem den Energiezuwachs, der helfen könnte, die Situationen zu ändern: durch Kampf oder Distanzierung, durch Erkennen der Lernaufgaben, die darin verborgen liegen … vor allem aber im Gewinn von mehr eigenem Persönlichkeitswachstum. All dies könnte man auch als Zukunftsblicke bezeichnen.

Was aber, wenn die Zukunftsperspektive dunkelstes Schwarz aufweist? Und wenn niemand das „rhema“, das „heilende Wort“, zu sprechen weiß und bereit ist, durch die „finstere Nacht“ zu begleiten? Der Mensch kann dem Menschen Heilmittel sein – dann, wenn er oder sie selbst diesem Sog des Abgrunds entkommen konnte und wie ein Lotse die Absturzstellen (im Denken) kennt. In meinem Buch „Krisenkompetenz“ habe ich meine Mutter zitiert, die mir 16- oder 17jähriger, als sie meine Schnittwunden entdeckte, sagte: „Kein Mann (nämlich mein Vater) ist es wert, dass man seinetwegen sein Leben wegschmeißt!“ Erst nach seinem frühen Tod gestand sie mir, dass sie genauso unter ihm gelitten hatte wie ich.

Heute weiß ich nach langem Suchen und Studieren, wie man Unerträgliches ertragen kann – wie man atmen muss, welche Körperhaltung man einnehmen muss, wie man seine Gedanken kontrollieren muss, wie Loslassen geht und wie man in sich selbst die Heilkraft der herzweiten Liebe aufbauen und diesen Zustand im Idealfall auf andere Bedürftige – denn das sind wir alle, mehr oder weniger – übertragen kann. Egal ob diese an körperlichen oder seelischen Schmerzen verzweifeln und nur mehr den Zukunftsgedanken an Schluss der Qualen und Schlussmachen haben.

Wir sind nicht nur unsere (bisherigen) Gedanken – es gibt auch andere; wir sind nicht nur unsere Empfindungen, Gefühle, Phantasien, Erwartungen – wir sind viel mehr. Menschen mit Meditationserfahrung haben das meist schon erkannt … aber sie sind eine Minderheit. Deswegen plädiere ich immer wieder dafür, diese wie auch andere ganzheitsmedizinische „Gesundungsmethoden“ bereits im Schulunterricht vorzustellen und ihre Wirksamkeit naturwissenschaftlich zu erklären (und nicht nur ab und zu als „Infotainment“ für potenzielle KonsumentInnen vor dem Fernsehschirm).

Genau dieses Wissen, wie man die „normalen“ leibseelischen Grenzen überwinden kann, wird nicht weitergegeben oder gar vorgelebt – zu groß ist die Angst, als Spinner verlacht zu werden. Stattdessen sollen „schnelle“ Lösungen der Leidenssituation erlaubt werden … der Selbstbestimmung – „informed consent“ vorausgesetzt – müsse Genüge erwiesen werden. Für mich ist das Verweigerung von einfühlsamem Beistand (und damit Anzeichen von Alexithymie – der laut Weltgesundheitsorganisation zunehmend verschwindenden Fühlfähigkeiten).

In dem Buch „Sterbehilfe / Suizidbeihilfe in Österreich“ des Juristen Michael Halmich und des Medizinethikers (und habilitierten evangelischen Theologen) Andreas Klein (educa Verlag) beschreibt letzterer nicht nur die historischen Positionen führender Philosophen, sondern auch die aktuellen Argumentationen und Alternativen in der Diskussion zur gesetzlichen Neuregelung 2021; dabei versucht er zu verdeutlichen, dass es nicht um eine grobe Alternative zwischen Leben und Sterben/Tod geht, sondern um Fragen nach dem Sinn von Dasein unter bestimmten, vor allem schwerst beeinträchtigten Bedingungen.

Mir ist wichtig zu betonen: Teil dieser Bedingungen sind auch wir – jede und jeder von uns, wann immer wir zu jemand in Beziehung treten.