Startenor Placido Domingo scheint es begriffen zu haben: Auch aufgezwungene Küsse, Berührungen und Streichelattacken (Salzburger Nachrichten, 26. 02., S. 10) sind sexuelle Übergriffe, und sie können bei hierarchisch untergeordneten Menschen massive Angst auslösen: Was passiert mir, wenn ich protestiere, mich wehre, an übergeordneter Stelle – wenn es überhaupt eine gibt – beschwere? (Ich habe bewusst Mensch geschrieben, da mir seinerzeit, als ich noch in den beiden von mir mitbegründeten Wiener Sexualberatungsstellen arbeitete, Ähnliches von männlichen Musical-Studenten anvertraut wurde, die nicht wussten, wie sie sich handgreiflicher homosexueller Anbahnungsversuche entziehen könnten.)

Diese nicht Wissen, wie man/frau sich wehren kann, ist eine Form von Schockstarre, die gemeiniglich unter Angst verbucht wird – aber Angst beinhaltet bereits Selbstgewahrsam – Schockstarre nicht, sie ist eine Art unbewusster Reflex wie das Totstellen mancher Tiere. Das darf aber auch nicht mit der Phase des bewussten Totstellens verwechselt werden – wenn Personen, die in eine unangenehme aber zutreffende Beschuldigungssituation geraten sind, auf Tauchstation gehen, um sich der Verantwortung zu entziehen – oder auch nur Zeit zu gewinnen.

Wie weit Herr Domingo durch die Verurteilung von Harvey Weinstein „motiviert“ wurde, sich nun einsichtig zu zeigen, mag ich nicht beurteilen. Aber seine Verteidigung (s. o. zit. Artikel), „er habe nie jemanden missbraucht und nie seine Position ausgenutzt“ ist mir wohl bekannt – von Männern, die ihre sexuellen Übergriffe auf Kinder als „nur Zärtlichkeit“ und „keine Gewalt“ verstanden wissen wollen – sie hätten ja nur gestreichelt (halt den Penis oder die Vagina). Gewalt liegt aber (nach der Definition von Johan Galtung) immer vor, wenn das Potenzial der anderen Person geschädigt wird, also auch ihr Potenzial der Selbstbestimmung.

Es gibt im breiten Spektrum der sexuellen Gewalt – definiert als Konfrontation und Zufügung unerwünschter sexueller Revierüberschreitungen – eine, die ebenso verstörend und schockierend ist: die verbalen Machtspiele, mit denen sich mächtige Männer ihrer Dominanz versichern – besonders gerne gegenüber Frauen mit hoher öffentlicher Reputation. (Da fällt mir das Foto ein, auf dem Jörg Haider der sichtlich angewiderten Heide Schmidt – lustig, lustig – irgendeine Süßigkeit in den Mund steckte.) Wenn frau sich das verbittet, bekommt sie mit der Zuschreibung „zickig“ gleich noch eine Demütigung drauf – denn „Abwehr“ wird von kampferprobten Männern gerne als „einvernehmliches“ Kampfangebot interpretiert und damit als Aufforderung weiterzumachen.

Ich kenne solche Situationen natürlich auch zur Genüge aus meiner Biographie, deswegen empfehle ich die von mir als PROvokativmethodik entwickelten Techniken: Entweder gespielt(!) entsetzt zu reagieren, oder sehr ernsthaft „Bitte bringen Sie mich nicht in eine peinliche Situation!“ – oder sich alles für eine bessere Situation aufzuheben und dann darauf zurück zu kommen – aber das muss gut vorbereitet sein, Beratung im Freundeskreis oder mit Profis wäre also angebracht.