Er sei eben ein Umarmer, verteidigte sich Dirigent und Festspielleiter Gustav Kuhn laut profil 47/19, Seite 64, aber kein „fester“. Offensichtlich bewertet er Übergriffe quantitativ, also nach Krafteinsatz – nicht qualitativ, nach der Qualität der Beziehung, ob diese beruflich oder privat und in diesem Fall hinreichend intim ist.

Dazu sollte man wissen: Intimität bedeutet große seelische Nähe, und diese entwickelt sich in gegenseitigem Respekt und Vertrauen und – in Phasen, wie ich in meinem Buch „Ungeduld des Leibes“ dargestellt habe. Auf das Kennenlernen folgt die Phase der „Beziehung“ – oder auch nicht, dann bleibt es bei einer oberflächlichen Bekanntschaft unter vielen. Vertieft sich die Beziehung aber, wird sie intim, man öffnet sein Herz, berichtet Schmerzhaftes und Geheimes aus seiner Biographie, denkt und fühlt mit dem Anderen mit … so wie es zwischen nahen Anverwandten sein sollte, aber vielfach nicht ist, weil diese meist ihre Pläne und ihren Willen durchsetzen wollen, dafür aber unter „echten“ Freunden und Freundinnen entstehen kann. Eine körperliche Berührung oder sexuelle Vereinigung kann sich aus diesem Seeleneinklang ergeben – sollte es aber nur, wenn die Beziehung frei von Abhängigkeit, Druck, Nötigung oder Erpressung (dazu zählt auch Berechnung) ist. Andernfalls findet Gewalt statt – von der perfide konzipierten Manipulation bis zum radikalen Brechen von Widerstand. Der Abstufungen gibt es viele.

Edith Meinhart zeigt in ihrem profil-Artikel wie auch im Interview mit der auf Gleichbehandlungsfragen spezialisierten Wiener Rechtsanwältin Petra Smutny deutlich auf, wie Vorkommnisse rund um die Festspiele Erl verleugnet, verharmlost, ins Gegenteil verkehrt wurden – und wie in Organisationen mit steilen Hierarchien (wie etwa im Wissenschaftsbetrieb) Nachgeordnete vom „Wohlwollen“ eines sogenannten „Förderers“ abhängen. Wer sich als solcher selbst definiert, wähnt sich quasi als Renaissance-Fürst samt ius primae noctis (Erstnachtsrecht). Ich habe selbst solche unerwünschte Ansinnen im Beruf wie vor allem auch in der Politik überlebt, meist mit bissigem Humor, manchmal mit Hilfestellung hochrangiger Frauen. Und genau die braucht es, damit frau Rückendeckung bekommt, wenn sie sich gegen körperliche Attacken wehrt. Als ich mich im Februar 2017 gegen das brutale Wegstoßen körperlich gewehrt habe und daraufhin niedergeschlagen wurde, hat leider keine der Aktivistinnen aus den Gewaltschutzzentren sich an meine Seite gestellt, obwohl fast alle Zeitungen davon berichtet haben … das nur als Beitrag zum 26. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.

Körperliche Gewalt beginnt mit unerwünschten, unerlaubten Berührungen – und wenn es nur das Anfassen am Arm ist (machen leider auch Frauen). Manche NLP-trainierte Verkäufer setzen mit solchen Berührungen emotionale „Anker“ um potenzielle Käufer besser „überreden“ zu können. Meist sind es aber unbewusste Dominanzgesten, mit denen ins „Revier“ anderer eingedrungen und damit die eigene Überlegenheit überprüft und bestätigt wird – wie es auch Hunde oder andere Tiere tun – und damit befindet man sich auf eben deren Niveau.