Derzeit vergeht kein Tag, ohne dass die Tageszeitungen von einem neuen sexuellen Übergriff auf Kinder und Jugendliche berichten: Das begann mit einem Kindergarten in Wien, dann noch einen, dann einen in Graz („Missbrauch in Kindergärten: Es soll 7 Opfer geben“, Salzburger Nachrichten, 24.11.2022, Seite 12), dann Schulen, dann Heime, in Sportvereinen und jetzt wiederum in einer Familie …

Im Grazer Fall hat der Verdächtige die Arbeitsstätte gewechselt, stand da zu lesen. Ich kenne aus meiner Praxis etliche Fälle, wo die Eltern bei Verdacht, dass in der Familie etwas nicht stimmen könnte, den Wohnsitz gewechselt haben – offenbar überwiegt die Angst vor der „Obrigkeit“ das Schutzbedürfnis gegenüber den Kindern (auch in den Institutionen?) – und irgendeine Ausrede findet sich schon, wenn dann gefragt wird, weshalb man sich örtlich verändert.

Vielleicht liegt es aber an der Kommunikation: Wie sollen wir „Ungehöriges“ oder sogar Kriminelles „akzeptabel“ ansprechen? So, dass die angesprochene Person nicht sofort „mauern“ muss, oder flüchten, oder zu einem Gegen-Angriff schreiten? Wie kann man einen Angriff zu einem Anrühren vermindern? (Steht in meinem letzten Buch „Sprechen ohne zu verletzen“ – aber auch, dass es die Entscheidung der angesprochenen Person ist, ob sie sich „entscheidet“, mit einer Demonstration von Verletztheit zu reagieren.)

Sachlich und nicht emotional zu reagieren, auch wenn es eine:n innerlich krampft, kann man lernen. Deswegen bin ich ja – wie ich immer wieder betone – dafür, aus dem Unterrichtsfach „Bewegung und Sport“ umfassende „Leibeserziehung“ zu machen und Atemübungen, Energiebalance-Übungen aber auch Selbstverteidigung zu integrieren – aber die (meist freiberuflich) Lehrenden dieser Form von Psychohygiene haben leider keine Lobby, die (meist wohlbestallten) Sportfunktionäre schon.

Dem Stillschweigen geht fast immer Wegschauen voraus. So sagte unlängst eine Pädagogin, als ich die Vielfalt von sexuellen Übergriffen an kleinsten Kindern erläutern wollte, sofort „Ich will das gar nicht hören – ich habe eine gleich alte Tochter!“ Dass sie sich schützen will, respektiere ich – aber ich erkläre, warum es nicht bloß bei diesem Nicht-Wollen oder anderer Abwehr bleiben darf: Wer es – noch – nicht anders „gelernt“ (d. h. neuronal verankert) hat, wird spontan von einer geistigen „Bebilderung“ von Worten „überfallen“ werden – aber diese kann man sofort verändern, beispielsweise indem man das geistige Bild durch Retterpersonen vervollständigt.

Auch Empörung oder Ruf nach staatlichen Eingriffen ist nicht die geeignete Problemlösung: Wenn Tatsachen bewiesen sind, sind die aktuellen Reaktionsmöglichkeiten von Polizei und Justiz ausreichend. Was nicht ausreicht, ist der Schutz der „Hermeneutik des Verdachts“: Wie man eine Beobachtung „interpretiert“, gehört meines Erachtens zu den Persönlichkeitsrechten – solange nicht Böswilligkeit nachgewiesen werden kann.

Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, wenn gewalttätige Menschen mit „Misstraust du mir etwa?!“ versuchen, Kritiker:innen „mundtot“ zu machen. Die Antwort darf lauten: „Ja!“