Wie kommt es, dass manche Leute wildfremden Anrufern Geld oder kompromittierende Sexfotos von sich selbst anvertrauen, wurde ich unlängst gefragt. Weil sie es schaffen, ihre Ausbeutungs-Opfer in bestimmte Gefühlszustände zu versetzen, lautete meine Antwort, und: Weil viele Leute „Höflichkeit“ höher wertschätzen als Mißtrauen, Zögerlichkeit oder Widerstand.

Es sind vor allem Personen mit altertümlich klingenden Vornamen, die sich diese Telefongaukler heraussuchen, um ihnen Angst zu machen, ihrem Kind oder Kindeskind drohe eine Anzeige und nur sie als vermeintliche Polizisten könnten dies abwenden. Andere geben sich als Inkassobeauftragte aus und behaupten forsch bei Jüngeren, sie hätten eine offene Rechnung einzutreiben. Oder man hätte ihr Auto beschädigt … oder den Gartenzaun … Es geht immer darum, psychischen Druck auszuüben und das gelingt, wenn man der anderen Person so ungute Gefühle macht, dass sie alles tut, um aus dieser Bedrängnis (strafrechtlich je nach Wortwahl: Nötigung oder Erpressung) herauszukommen.

Von C. G. Jung stammt eine grafische Struktur, aus der ersichtlich wird, dass Vernunftdenken und Gefühlsüberflutung Gegensätze sind: Je mehr man kognitiv überlegt, desto weniger fühlt man – und je stärkere Gefühle einen beherrschen, desto mehr verschwindet jegliche Rationalität. Der Volksmund sagt dann „blind“: blind vor Angst, blind vor Wut, blind vor Gier, blind vor Liebe …

Genau diese Blindheit, die aktuelle Situation mit ihren möglichen Folgen („Visionen“) zu „sehen“ und nicht nur zu „genießen“, verlockt sexuell bedürftige Männer dazu, Intimfotos oder mehr an unbekannte Frauen zu mailen ohne zu bedenken, dass man(n) sich damit erpressbar macht – und dass die Telefonkriminellen mit deren Scham rechnen, es möge nur niemand erfahren, dass man(n) erstens diese Ersatzform von sexueller Aktivität „nötig“ gehabt hat, zweitens alle Kraft in den Unterleib verlagert hatte, statt zumindest ein Schutzrestchen im Hirn zurück zu halten und drittens muss man(n) mit heimlichen Reaktionen von Häme, Spott und Verachtung rechnen, selbst wenn sie nicht gleich spürbar werden.

Früher waren es vor allem jugendliche Mädchen, die von Telefonterroristen – meist angeblichen Schulärzten – aufgefordert wurden, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen und zu beschreiben. Heute sind es oft Schulkollegen, die sich auf diese Weise Befreiung von Hormonstürmen oder Unterlegenheitsgefühlen verschaffen wollen.

Aufklärung tut not – aber nicht allein kognitive Wissensvermittlung, sondern vor allem auch Wissen darüber, wie sich Gefühle steuern lassen und wie man Grenzen setzt, und: wo man Beistand erhält, wenn man den „point of no return“ verabsäumt hat.

Lehrerschaft und Polizei sind nicht immer die richtigen Ansprechpersonen: Sie verkörpern Staatsmacht und lösen bei vielen wiederum Angst aus – vor allem bei hochbetagten Menschen, die noch die Angst vor dem Blockwart anerzogen bekommen haben. Ich könnte mir hier eine neue Aufgabe für die Mitarbeiterschaft von Hilfswerk und Volkshilfe etc. vorstellen: Dann könnte die angerufene Person den eintrainierten Satz sagen, „Das erledigt meine Frau XY – die ruft sie zurück!“ und wäre höflich UND wahrhaftig.