Als ich in den 1990er Jahren viel für die Verwaltungsakademie des Bundes trainieren durfte, nahmen an meinen 4tägigen Kommunikationsseminaren oft Beamte (nur männliche) der Finanzverwaltung teil, die Steuerprüfungen durchzuführen hatten. Sie beklagten, dass ihnen so feindlich begegnet wurde, obwohl sie doch nur ihre Pflicht erfüllten. Auf Nachfrage, welche Pflichten sie denn meinten, antworteten sie: Fehler aufdecken, Strafen aussprechen.

Ich entschied mich darauf zu einem „Reframing“, einer Technik aus der Systemtherapie, in der einfach durch Umformulierungen die „Umrahmung“ („frame“ bedeutet auf Englisch „Rahmen“, wie bei einem Bild), sprich die Sichtweise verändert wird: Auch als „Finanzpolizei“ wären sie doch „Freund und Helfer“ und ihre Aufgabe sei es, Informationen zu geben, wo Verbesserungsbedarf anfiele, damit in Zukunft Strafen vermieden werden könnten.

An diesen friedfertigen Blickwinkel musste ich denken, als ich in den Zeitungen der vergangenen Tage las, wie die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs zu den Kontaktbeschränkungen der ersten Wochen seit dem Wissen über die Corona-Pandemie berichtet wurden: als Triumph über Fehler der Regierung (https://www.oe24.at/coronavirus/verfassungsklage-auch-gegen-baby-elefanten/439396174). Dabei gibt es logischerweise „Fehler“ nur dort, wo es bereits eine „richtige“ Form gibt – und wenn etwas ganz neu ist, muss diese richtige Form ja erst erarbeitet werden, daher gibt es zuerst nur die Sichtweisen und das Bemühen der Beamtenschaft. Die sind nämlich für die legistischen Entwürfe im Stufenbau der Rechtsordnung zuständig – und servicieren bei Gesetzen die Parlamentarier – aber nicht die Minister. Das wird nur von den Oppositionsparteien bzw. manchen Medien aus taktischen Gründen so dargestellt.

Die Höchstgerichte hingegen sind für die ihrer Sichtweise nach nötigen Korrekturen zuständig – und auch deren Beurteilungen können in Zukunft neuerlich „verbessert“ werden. Das gehört zu den Vorteilen einer Demokratie. Selbst wenn künftig wie angekündigt mehr im Vorhinein mit dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts zusammen gearbeitet werden wird, können Aufhebungen von Rechtsverbindlichkeiten durch den VfGH nicht ausgeschlossen werden – und die sind keine Strafen sondern Verbesserungshilfen.

Leider frönt der „gelernte Österreicher“ der Straflust: Man sucht Schuldige, womöglich weit außerhalb der eigenen Reihen, und stellt dann Negativzeugnisse in der Hoffnung aus, dass der Wähler die angeblich Unfähigen bei der nächsten Wahl abstrafen wird. Tatsächlich beleidigt man damit aber die Beamtenschaft – und es ehrt die Ministerriege, wenn sie sich schützend für diese kritisieren lässt. Von den Medien (vor allem dem ORF) hingegen wäre dringend zu verlangen, nicht nur historische Berichte über Österreich I und II zu bringen, sondern auch aufklärende Informationen, wie Gesetzgebung, Rechtssprechung und Verwaltung des Staates organisiert ist – und wie das in anderen Ländern gehandhabt wird, damit die breite Bevölkerung erfahren kann, welche alltagsrechtlichen Unterschiede zwischen Österreich, Europa und den USA bestehen. Da besteht nämlich riesiger Verbesserungsbedarf.