Am vergangenen Samstag (15.10.2022) wurde in der ORF-Sendung „Bürgeranwalt“ die Beschwerde eines Rollstuhl-abhängigen Gastes behandelt, der sich vor dem Besuch eines renommierten Restaurants mehrfach nach den Bedingungen erkundigt hatte und dem jedes Mal „Barrierefreiheit“ zugesichert worden war. Diese hatte sich als Lift in den Keller – also Vermeidungsmöglichkeit von Stufen und Stiegen – erwiesen, aber nicht von den Bedingungen, die Paraplegiker brauchen, um selbständig aus dem Rollstuhl auf die WC-Muschel „überwechseln“ zu können.

Mir fiel sofort die Fehlverwendung des Wortes Barrierefreiheit – so hieße es im Gesetz, wurde in der Sendung erläutert – auf. Warum heißt es dort nicht „behinderungsgerecht“? Dass man Menschen mit Sonderbedarf nicht als „Behinderte“ diskriminieren will, finde ich ja richtig und wichtig – aber das Phänomen, dass die meisten von ihnen mehr Bewegungsraum brauchen (z. B. auch Menschen mit Sehbehinderungen! Oder allein schon mit Krücken!) – sollte allen, die sich für Bau-Experten halten, mittlerweile klar sein …

Wenn ich in meinen Antidiskriminierungsseminaren das Thema Körperbehinderung – und das fängt schon in Schwangerschaften an – behandle, lasse ich die Teilnehmer:innen zwischen den häufigsten üblichen Behinderungen wählen und dann z. B. mit verbundenen Augen oder mit Krücken Wege oder Be-Weg-ungen durchführen (natürlich unter begleitender Kontrolle).

Ignoranz ist nämlich auch Gewalt: Beim Thema der sexuellen Misshandlung von Kindern heißt es in der internationalen Fachsprache „abuse and neglect“ – und das entspricht der Gewaltdefinition des norwegischen Mathematikers, Soziologen, Politologen und Trägers des Alternativen Friedensnobelpreis‘ Johan Galtung (* 1930), wonach Gewalt bereits eintritt, wenn das jeweilige Gesundheitspotenzial eingeschränkt wird, egal wodurch – z. B. auch durch diskriminierende „Regeln“, auch wenn sie als „Erleichterungen“ propagiert werden. Und genau das passiert heute vielfach – nicht nur im Politsprech und anderen Werbeformen, sondern überall dort, wo die Gesundheit fördernden Formulierungen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) zur Manipulation missbraucht werden. (Und dazu schreibe ich gerade mein nächstes Buch „Sprechen ohne zu verletzen“, sollte im November da sein – und deswegen hapert es im Augenblick mit der Zeit fürs „Briefe gegen Gewalt“-Schreiben.)