Als ich 1971 als Funktionärin der Jungen Generation in der SPÖ gemeinsam mit etlichen Mitgliedern des Wiener Vorstands erstmals auf Schulung zu den Jusos nach Deutschland fahren durfte, war das Ziel ein Gewerkschaftsheim in Malente in Schleswig-Holstein.

Einmal während dieser Bildungswoche waren wir bei dem späteren Wissenschaftsminister und auch Ministerpräsidenten Björn Engholm eingeladen – privat! Das war ganz ungewohnt für uns Ösis, und überhaupt für mich als permanent „unbegleitete“ Frau. Meine privaten Einladungen in eine Familie kann ich an einer Hand abzählen … Mein verstorbener Ehemann hingegen wurde oft privat eingeladen – er allein, von Leuten, die sich bei ihm, damals ein Herr Wichtig im Wiener Rathaus, beliebt machen wollten.

Ich glaube, es war in Lübeck und nicht Kiel, genau kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sehr wohl an den Stadthafen und an seine Frau Barbara, eine Kunstmalerin. Wir wurden bewirtete und ausgefragt. Und es kamen immer mehr Jusos dazu … und dann schlug Engholm vor, in ein Lokal zu wechseln, und meine Kollegen stimmten freudig zu – bis Engholm erklärte, er werde uns nicht einladen wie er wüsste, dass es Österreicher üblicherweise erwarteten, er würde nur einen einzigen seiner Landsleute frei halten, weil dieser sonst mangels Finanzkraft nicht mitkommen könnte.

Diese Offenheit war ungewohnt.

Während mir erzählt wurde, dass es in den USA üblich wäre, sein Einkommen gesprächsweise offen zu legen, werden in Österreich Personen, die nicht „mithalten“ können, eher diskriminiert, zumindest insgeheim verachtet.

Verachtung besteht in der Vergrößerung einer „schiefen Distanz“. Geradlinig von oben herabzuschauen wird nur in einer direkten hierarchischen bzw. strukturell gewaltimmanenten Überordnung akzeptiert. Schief hingegen befindet man sich nicht mehr in der direkten vertikalen Schusslinie – da trauen sich fast alle diese Missachtung der (oft nur phantasiert) unterlegenen Person zu; sie können ja meist auch sicher sein, dass ihnen niemand widersprechen wird – aus Angst, dann in „einen Topf geworfen“ zu werden. Hinter diesen Verhaltensweisen steckt Angst vor dem möglichen eigenen sozialen Abstieg und mangelndes Zutrauen zur eigenen sozialen Attraktivität jenseits von Geld und Gut.

Der Wert eines Menschen zeigt sich an seinen sozialen (!) Werken („An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, Matthäus 7, 16), und dazu zähle ich auch Offenheit. Den Verzicht auf Masken. Auf Angeberei. Was ich nicht dazu zähle, ist der schamlose Exhibitionismus ohne Schutz des Intimbereichs.

Deswegen habe ich, als ich ab 1977 das Kommunikationszentrum Club Bassena aufbaute, darauf geachtet, dass Einkommensunterschiede keine Zugangssperre bilden durften. Voraussetzung ist ein wahrheitsgemäßer sachlicher Dialog (ohne emotionale Erpressungsversuche).

Vielleicht motiviert die derzeitige Debatte um Mindestsicherung zu einer neuen Solidarität und zu punktuellen Patenschaften im eigenen Land. Unsere SpitzenpolitikerInnen können da vorbildhaft Maßstäbe setzen.