Halt! Gewalt!

Als ich 2003 medial heftig gegen das angeblich so lustige „Pastern“ als Aufnahmeritual im GAK protestierte, wurde ich einige Zeit mit Drohanrufen (Facebook und Twitter waren noch nicht „in“) belästigt. Man wollte mich einschüchtern, der Lächerlichkeit preisgeben oder auch mundtot machen. Verständlich: Wer erträgt schon die plötzliche Einsicht, missbraucht worden zu sein in einer Umwelt, die dazu neigt, persönliche Betroffenheit als Einzelreaktion herunter zu spielen?

Mir aber war wichtig, dem jungen Burschen, der sich seinem Vater anvertraut hatte, beizustehen: Es ist nicht lustig, vor einer johlenden Menge (ehemals gleich Betroffener) eine mit Schuhpaste beschmierte Klobürste zwischen die Po-Backen gestoßen zu bekommen. Denn auch wenn österreichische Höchstgerichte noch immer an der Sichtweise festhalten, das Gesäß wäre kein Geschlechtsorgan, folgen sie nur einer fortpflanzungsorientierten Sexualitätsdefinition, die sexuologisch längst überholt ist und haben kein Gespür für Intimbereiche.

Wir alle lesen in der Medienberichterstattung von sexuellem Missbrauch (auch mit dem Wort „schwer“ dramatisiert) – aber es werden die dadurch ausgelösten geistigen Bilder nicht durch Fakten verifiziert – und das ist gut so. Es würden sonst nur wieder etliche latente Gewalttäter zur Nachahmung verlockt. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass mit jeder dieser Berichterstattungen vor allem Phantasien angeregt werden – Gedanken sind ja bekanntlich frei. Als ich 1998 begann, mein Buch „Gewaltprävention im Alltag“ (derzeit wieder im Buchhandel) in der Erstfassung zu schreiben, gab es eine einzige Studie zum Thema. Das Buch „Auszeit – Sexualität, Gewalt und Abhängigkeiten im Sport“, herausgegeben von Constance Engelfried (Campus Verlag 1997). Die Erziehungswissenschaftlerin betont darin, wie sehr im Sport „Härte gegen sich selbst und andere“ ein hoher Wert wäre: „Das männliche Prinzip, das Stärke und Durchsetzungsvermögen verlangt, siegt letztendlich über die scheinbar weiblichen Kompetenzen von Bindung, Verständnis und Nähe.“

Es ist m. E. wichtig, sich bewusst zu machen, dass dieser „Sieg“ nur aufzeigt, was in den Vordergrund – ins Licht – gerückt wird. Dahinter – im „Schatten“ (nach C. G. Jung) befinden sich diese Bedürfnisse nach Vertrauen und Vertrautheit, aber sie werden als „schwach“ verachtet und verdrängt – und tauchen in sexualisierter Form bei passenden Gelegenheiten auf.

Derzeit wird das Fehlverhalten von Trainern – in England, in Österreich – Kindern und Jugendlichen gegenüber thematisiert. Nicht angesprochen sind die sexuellen Ausbeutungen von jungen Erwachsenen. Die „Besetzungscouch“ gibt es ja nicht nur (immer noch) in Theater, Film und Oper, wie ich von etlichen meiner Klientinnen und Klienten (!) weiß, sondern auch dort, wo es um Teilnahme an internationalen Wettbewerben geht. Gottlob ist die Generation von Sportfunktionären und Präsidenten schon fast ausgestorben, die sich mit feschen Eislaufprinzessinnen, Schwimmköniginnen und Skikaiserinnen in ein „Siegen“ hineinträumten, das ihnen im Beruf oder Mandatsausübung nicht gelang.

Es ist gar nicht so oft latente Pädophilie, wie Schreibtisch-Psychologen meinen – es ist reiner Machtmissbrauch, um dem eigenen „Schatten“ – dem Bedürfnis, klein sein zu dürfen und lieb gehabt und vor allem bewundert zu werden – zu entfliehen.