Einen Monat habe ich jetzt keinen „Brief gegen Gewalt“ geschrieben — und ein arges schlechtes Gewissen. Nicht dass es nicht genug Anlässe und Themen gegeben hätte — die gab es schon, und die will ich nun auch nachträglich abarbeiten. Der Grund liegt in dem alltäglichen Dilemma, das ich meinen KlientInnen mit der Frage nahe zu bringen pflege:  „Zu wem wollen Sie halten — zu sich oder zu den anderen?“

Gewalt findet ja nicht nur gegen andere statt sondern kann sich auch gegen sich selbst richten — beispielsweise wenn man die Alarmzeichen des Körpers ignoriert und meint, seine Pflichten erfüllen zu müssen, auch wenn der „heiße“ Hunger signalisiert, dass der Zuckerspiegel tief abgesunken ist (und damit Fehlverhalten wahrscheinlich wird), man dringend die Toilette aufsuchen müsste oder eine Ruhe- bis Schlafpause angesagt wäre. Es liegt an der Erziehung — und damit auch an den Vorbildern! — die man als Kind genossen hat, ob man zur Selbstausbeutung neigt oder sich „erlaubt“, auf die eigene Gesundheit zu achten.

Die meisten Menschen haben leider ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Gesundheit — gestört durch Verbote ihrer Beziehungspersonen der frühesten Kindheit mit dem Ziel, sie sollten nur ja nicht zu „wehleidig“ sein. Dahinter steckt die eigene Angst, an die eigene Befindlichkeit erinnert zu werden — und die Verletzungen, die man selbst durch Spott und andere Brutalitäten erlebt hat. Dabei ist Wehleidigkeit der sichere Hinweis, dass man sich vor etwas — oder jemandem! — schützen sollte. In meinem Buch „Kaktusmenschen“ habe ich diese Pflanzenmetapher gewählt, um einerseits zu erinnern, dass Kakteen lange ohne Wasser — dem tiefenpsychologischen Symbol für Gefühle — überleben können, und andererseits an die Notwendigkeit, Abstand zu halten wenn man Stiche — „Sticheleien“ — vermeiden möchte. Übrigens: Ö24 titelt heute „Kern stichelt gegen Sebastian Kurz“ und „Der Kanzler konnte sich einen Seitenhieb auf die ÖVP nicht verkneifen“. Liest man weiter, so lautete dieser „Hieb“, Kurz habe die ÖVP in eine „Ich-AG“ verwandelt. Diese Art von Wehleidigkeit — nämlich andere schlechtmachen wenn eigene Versuche misslingen — befürworte ich nicht. Ich befürworte, dass man sich Pausen — Erholungs- wie auch Nachdenkpausen — erlaubt und das eigene Profil schärft, aber nicht den Dolch für die Konkurrenz.