Über 3.600 nachgewiesen missbrauchte Kinder und Jugendliche (die meisten unter 14 Jahren) bei über 1.600 Klerikern (ohne geschätzte Dunkelziffern), das ist die erschütternde Anzahl von sexuellen Übergriffen, die eine neue Studie im Auftrag der deutschen Bischofskonferenz zu Tage brachte. Von den Forschern wurde dabei eingemahnt, dass die Thematik weiter bearbeitet gehöre – vor allem seien die kirchlichen Machtstrukturen, die Verpflichtung zur Ehelosigkeit wie auch der problematische Behandlung von Sexualität und besonders Homosexualität in der Kirche zu hinterfragen. (https://www.abendblatt.de/politik/article215410889/Katholische-Kirche-stellt-Studie-zu-sexuellem-Missbrauch-vor.html)

Dass in straffen Hierarchien viele Filter das Aufsteigen von beschämenden Informationen aus dem Untergrund in die Höhen interner oder externen Öffentlichkeit be- bzw. verhindern, betrifft allerdings nicht bloß die „Institution“ Kirche – das fängt schon in der „Institution“ Familie an. Deswegen braucht es ja Orte des Vertrauens, wo man sich furchtlos äußern kann. Genau diesen Ort stellt die katholische Männerkirche nicht dar – dabei wäre jeder Ort der Seelsorge (im weitesten Sinn) die richtige erste Zuflucht – wie auch Arzt- oder Psychotherapie-Praxen, Beratungsstellen und viele andere Gewaltschutzeinrichtungen. Nur: Auch dort können Wölfe im Schafspelz sitzen. Oder anders formuliert: Männer, die ihre (sexuelle) Männlichkeit nicht kontrollieren (können oder wollen).

Metaphorisch kann man sagen: Die Geschlechtlichkeit von Frauen ist durch den Ort der Leere im Bauch charakterisiert und damit Sehnsucht nach Erfüllung, und die Lernaufgabe eines Frauenlebens heißt, unabhängig davon zu werden, dass diese Leere durch einen Penis oder Penisersatz (Kind, aber auch anderes „Süßes“) gefüllt wird. Die Geschlechtlichkeit des Mannes hingen zeigt sich am „dynamischen“ Eigenleben des Geschlechtsteils, das man(n) hat, aber das den Mann nicht „haben“ darf; die Lernaufgabe heißt in diesem Fall, nicht Sklave seiner Unterleibs-Triebe zu sein sondern seine Triebe genussvoll – ja, das geht!!! – zu beHERRschen (und das bedeutet, sie eben nicht zu unterdrücken oder zu verleugnen). (Mehr dazu in meinem neuesten Buch „Lieben!“)

In jedem „Elternersatzberuf“, wo man sich emotional beistehend, aufklärend, tröstend etc. „nahe“ kommt, können erotische Gefühle und Fantasien auftauchen. Aufzuzeigen, wie man ohne Repression wie auch ohne Grenzüberschreitung in solchen Situationen reagieren kann, gehört in die fachlichen Ausbildungen – und dazu benötigt es eine umfassende Ausbildung der Ausbildner. Die fehlt.

Ernest Borneman, den ich in vielem radikal kritisiert habe, hatte mit einem Bonmot Recht: Er sagte, dass jeder (männliche Form!), der einmal Geschlechtsverkehr gehabt habe, sich für einen Experten halte.

Statt „gehabt habe“ muss man heute wohl ergänzen: Etwas Pornografisches gesehen, gelesen oder erzählt bekommen (und gestaltet) hat – und (noch) nicht die Vielfalt sexueller Erfahrungen angstfrei diskutieren konnte.

Denn wie ich in meinem Buch „Lieben!“ auch geschrieben habe: Man kann sich nicht über Liebe oder Sexualität äußern, ohne sich gleichzeitig zu „enttarnen“. Aber genau das gehört auch dazu, wenn man sein eigener Herr, seine eigene Herrin sein will: Dann darf man niemandem die Be- bzw. Verurteilungs-Macht geben – sondern muss das Recht einfordern, sich zu „erklären“ (Entschuldigungsversuche sind zu wenig!), aber gegebenenfalls auch die Pflicht erfüllen, fehlende Fähigkeiten nachzulernen.

Was ihnen fehlt, sagen die anderen.