Resilienz sei „die Kunst der Anpassung“, wird im Standard vom 05.01.2020 (Seite 29) die Soziologin Stefanie Graefe (* 1966) zitiert (PressReader.com – Zeitungen aus der ganzen Welt), und sie meint, „schlechte Verhältnisse sollten wir positiv umdeuten“.

Diese und weitere Aussagen haben mich entsetzt – immerhin warne ich seit Jahren in meiner Publizistik davor, dass der gegenwärtige fast-schon-Mode-Begriff Resilienz als Forderung missbraucht werden könnte – so wie es im zitierten Artikel heißt, „dass Menschen Widerstandskraft trainieren können“.

Zu solchen Sichtweisen kommt es, wenn rein kognitiv – also vernunft- und theoriegesteuert – menschliches Verhalten als Erziehungsaufgabe betrachtet wird – anstatt als Ergebnis vieler unterschiedlicher Erfahrungen und ebenso unterschiedlicher Verarbeitungsmöglichkeiten. Um das zu wissen, braucht man jahrelange und zeitintensive Beratungs- und Therapieerfahrungen mit Menschen, die unerträgliche Lebenskrisen relativ unbeschadet überstanden haben – nicht nur ein paar Interviews. Genau deswegen wurde bei den jahrelangen Verhandlungen um das Psychotherapiegesetz Soziologie (allein, also ohne psychosoziale Ergänzung, übrigens ebenso wie Juristerei) nicht als Quellenberuf für Psychotherapeuten zugelassen: Diese Fachrichtung hat eine andere Sicht auf Menschen (nämlich als jeweils zu erforschende bzw. definierende Gruppe), als etwa Krankenpflege und Medizin, Pädagogik, Psychologie, Seelsorge oder Sozialarbeit, die sich auf den einzelnen leidenden Menschen beziehen.

Resilienz „erwirbt“ man durch das individuelle Überwinden psychosozialer Katastrophen – nicht durch Appelle, nicht durch Imitation und nicht durch Tröstungen (wie das oben zitierte „Umdeuten“ – die NLP-Methode Reframing, die nur funktioniert, wenn sie ohne Suggestion ein subjektives emotionales Aha-Erlebnis hervorruft, und das therapeutisch, also heilend und nicht witzelnd zu bewirken, ist eine große, von Respekt und Einfühlung getragene, Kunst!)

Anpassung – egal ob aus Angst, erlernter Unterwerfung oder Berechnung – ist keine Kunst sondern Taktik und damit bewusste oder unbewusste Überlebensstrategie (und das ist auch ganz in Ordnung, weil eine Möglichkeit von mehreren) und dennoch eines der wesentlichen Motive, weswegen Menschen in Beratung oder Therapie kommen, dann nämlich wenn sie spüren, dass ihre innere Wahrheit – wie sie eigentlich hätten handeln müssen oder wollen – mit der geäußerten nicht übereinstimmt.

Resilienz hingegen basiert auf Selbstrespekt und Widerstandskraft, sich von anderen, Unbetroffenen (und vor allem Vor-Gesetzten, die fordern „Das müssen Sie aushalten!“) nichts einreden zu lassen.