Gerade zum rechten Zeitpunkt ist Reinhard Hallers neuestes Buch „Rache“ (ecowin) erschienen und zeigt verschiedene Motive und Umgangsformen von Hass und fehllaufende „Wiedergutmachungsbemühungen“ auf.

Was mich gefreut hatte ist, dass er verdeutlicht, was auch ich seit Jahrzehnten zu erklären versuche: Gewalthandlungen entstehen vor allem dann, wenn sich jemand nicht wertgeschätzt fühlt – die Form jedoch hängt von den im Einzelnen (oder ebenso Kollektiv) vorhandenen Vor-Bildern ab. Haller zitiert dazu die Negativmodelle aus Weltliteratur, Opern und Filmen.

Positivmodelle müssen wir uns selbst erarbeiten – und das hat mit der traditionellen Benachteiligung von Frauen zu tun.

Frauen haben ihre Missachtung jahrhundertelang als naturgegeben hingenommen, wurde ihnen doch weitgehend verboten, selbststärkende Erfahrungen zu machen: Immer musste ein Mann das „Oberhaupt“ sein (so auch im alten § 91 ABGB aus 1811, der in der großen Familienrechtsreform des SPÖ-Justizministers Christian Broda 1978/79 abgeschafft wurde; nunmehr verlangt das Familienrecht partnerschaftliche Gestaltung, aber wie das geht, wird nicht gelehrt, sondern immer noch Konkurrenz – und Konkurrenz heißt, einer muss Sieger sein).

Reinhard Haller schreibt: „Gelebte Wertschätzung, die jegliches Rachegefühl im Keim erstickt, setzt Aufgeschlossenheit, Empathie und Toleranz voraus. Wertschätzen können nur authentische Persönlichkeiten, die ehrlich kommunizieren, verlässlich sind, Sicherheit und Gelassenheit vermitteln und richtig loben können, also Wertschätzungskompetenz besitzen. Narzisstische Menschen, die sämtliche Wertschätzung für das eigene Ich benötigen, können davon nichts an andere weitergeben.“ (S. 153, Hervorhebung von mir.) Und das, ergänze ich, hängt damit zusammen, dass sie von klein auf zu viel oder zu wenig oder gar keine bekommen haben.

Was Haller hier allerdings nicht beifügt, aber meiner Erfahrung nach sich als sehr wichtig erweist, ist die Tatsache der Zweigleisigkeit: Auch die Person, die rachsüchtig attackiert wird, kann durch die eigene Wertschätzung das Klima in diese Richtung beeinflussen – sie muss nur konsequent und ruhig in der „respektvollen Distanz“ bleiben und sich nicht vom Hass und Zorn der bestrafungswütigen anderen Person „anstecken“ lassen, und das ist schwer, vor allem wenn man dazu noch keinerlei Wissen besitzt (d. h. noch keine Wahrnehmungs- und Handlungsnervenzellen gebildet hat) – wie fast alle.

Sich nicht respektiert zu fühlen, löst bei fast allen Personen Rachephantasien aus. Haller beschreibt das in vielfältigen Variationen, und er gibt auch Anleitungen, wie man diese bewältigen kann.

Ich ergänze dazu: Diese Hinweise bewähren sich auch bei anderen „unerwünschten“ Gefühlen oder Zwangsgedanken. Sie weisen ja letztlich darauf hin, dass etwas noch „unerledigt“ ist. Ich würde formulieren: Die – tatsächliche oder phantasierte – Beschädigung des eigenen Selbstwertgefühls (und damit der „Ehre“) will „repariert“ werden. Man(n) will wieder „obenauf“, d. h. Sieger sein – und dazu muss ein Kampf inszeniert werden. Und der ist oft ein Kampf auf Leben und Tod. (Wie im Kino.)

Vor Gericht heißt es dann oft, man habe ja nur einen Denkzettel verabreichen wollen, eine Drohung verstärken … aber auch das gehört zum Kämpfen, nur brauchen ehrliche Kämpfe bekanntlich Regeln, und, wenn sie solcher ermangeln, zumindest jemand, der im Notfall den Kampf abbricht.

Innerseelisch heißt dieser jemand Gewissen bzw. Gewissensbiss und sollte dazu dienen, eine Ansprechperson aufzusuchen – aber eine, die einen nicht bloß „ins Gewissen redet“, sondern in voller Wertschätzung im Überlegens-Prozess begleitet, wie man „überlegen“, d. h. „überlegt“, den unzivilisierten Drang besiegt, der verursachenden Person größtmöglichen Schaden zuzufügen (und meist in der Folge sich selbst auch).