Das schlechte Benehmen von Touristen wird immer mehr zum Aufreger, schreibt Birgitta Schörghofer in den Salzburger Nachrichten (25.08.2018, S.20), zitiert aber auch Kritiker der Unarten von Einheimischen. Ich kann mich noch gut an eine Flugbegleiterin erinnern, die bei mir Lebens- und Sozialberatung studierte, und sich über die lautstarken Anpöbeleien alkoholisierter österreichischer Fluggäste beklagte: „Ich habe mich meiner Landsleute geschämt – das ist doch keine Visitenkarte für unser Land!“

Ich spreche bei solchen – wohlwollend formuliert – Grenzverkennungen von umgekehrter Vogel-Strauß-Politik: Man wähnt sich in der Anonymität nicht erkennbar (und belangbar) – so wie Zweijährige ihren Kopf in Mutters Rock verstecken (oder hinter elterlichen Hosenbeinen). Und auf dieses Alter regredieren ja auch viele Menschen unter Alkoholeinfluss, lallen und schlagen um sich (zappeln) wie ein Kind, bevor es sprechen und seine Muskeln beherrschen gelernt hat. Besonders die Schließmuskulatur:  Im August 2011 pinkelte Obelix-Darsteller Gérard Depardieu in den Gang eines startenden Flugzeugs (https://www/sueddeutsche.de/leben/gerard-depardieu-pinkelt-in-flugzeug-ich-will-pinkeln-ich-will-pinkeln/1.1132046). Üblicherweise werden kleine Kinder im Laufe des dritten Lebensjahres von selbst sauber – und lernen auch zu fragen, wenn sie sich etwas nehmen wollen, und zu danken, und zu grüßen … wenn sie Vorbilder haben und wenn sie „gut ankommen“ wollen. Heute fehlt oft beides. Nur zu nörgeln, „Das gehört sich nicht!“ ist zu wenig – da lernt man nichts.

Meist sind es die Eltern, die sich nicht für ihre Kinder schämen wollen und deshalb schimpfen und strafen. Wenn ein betrunkener – Klartext: alkoholvergifteter – Lebenspartner sich daneben benimmt, bleibt es meist bei der Scham und beim Verstecken. Man schaut weg und hofft, dass auch die anderen nichts sehen.

Anders reagierte eine blondschöne Freundin, als sie am nächtlichen Heimweg von der Arbeit auf der U-Bahn-Treppe von einem vermutlich Orientalen angemacht wurde – just zur Zeit des sogenannten „Ausländervolksbegehrens“ (1992).  Sie brüllte den Zudringling spontan an, ob er sich denn nicht schäme, sich so daneben zu benehmen, und ob er nicht wisse, dass es gerade dieses bewusste Volksbegehren gäbe, und dass er kein gutes Abbild seiner Nationalität gäbe und so weiter. Der Mann war ob des unerwarteten Wutausbruchs so verstört (gestört), dass er Entschuldigungen murmelnd das Weite suchte.

Viele fühlen sich in der Anonymität sicher (an Überwachungskameras denken sie ja nicht), und ganz besonders sicher, wenn sie in einer Menschenmenge untertauchen können, und oft finden sie diese Grenzverletzungen lustig (und insgeheim auch lustvoll): Man kann auch dadurch den Hass auf die „unsolidarisch“ Angepassten, Erfolgreicheren ausleben. Dem gegenzusteuern ist einer der wachsenden Herausforderungen für eine generelle Sozialpädagogik bzw. Sozialtherapie. (Siehe auch meine Angebote auf www.salutogenese.or.at)