Ist Stefan Weber nun ein Plagiatsforscher oder ein Plagiatsjäger? (Kurier, 08.07.2021, S. 7), frage ich mich insgeheim – denn die Berufswahl und ebenso die Wahl des Forschungsgegenstands hat immer Wurzeln in der eigenen Biographie (bei mir auch). Denn: Was mit einem selbst nichts zu tun hat, interessiert nicht.

Das geistige Eigentum vor „Diebstahl“ zu schützen, ist wichtig – immerhin steckt da meist jahrelange Arbeit drin, oft auch höchstpersönliche Positionierung (wie sie aus konstruktivistischer Sicht korrekt ist, laut Albert Einstein kann man ja „Beobachtungen“ immer nur „am Beobachter“ wahrnehmen) und auch die Verarbeitung der seelischen Schmerzen, die einem von destruktiven Kritikern und Spöttern zugefügt werden, die sich dadurch einen Vorteil für sich selbst erhoffen.

Aber wo beginnt das geistige Eigentum?

Als ich mein Buch „Mut“ veröffentlichte, mailte mich eine empörte – öffentlich, außer vielleicht in ihrem persönlichen Umfeld, unbekannte – Tirolerin an, sie halte Seminare zu „Mutkompetenz“ und ich hätte ihre Rechte verletzt. Abgesehen davon, dass diese Wortschöpfung in meinem Buch gar nicht vorkommt, klärte ich diese Frau freundlich auf, dass das Wort Mut als Alltagswort nicht schützbar sei.

Selbst der Laut „Zisch“ kann laut EGH nicht markenrechtlich geschützt werden („Zisch“: Geräusch von Getränkedosen darf keine Marke sein – news.ORF.at) … und eine Politparole wohl auch nicht.

Im Laufe der Zeit habe ich einige Frauen, die ich für Freundinnen hielt und selbstlos bei deren Karriereschritten unterstützte, verloren, weil ich monierte, sie möchten doch korrekterweise mich als Quelle angeben, wenn sie aus meinen Büchern zitierten – und das fanden sie kleinlich, ich sollte mich doch freuen, wenn meine Formulierungen Gefallen fänden. Der Blickwinkel stimmt schon auch – nur: Wenn frau als Autorin und damit als Person „gelöscht“ wird, ist das nicht zum Freuen. Etliche Märchen – die Psychologiebücher der vor-schriftlichen Zeit – beschreiben, wie die „falsche Braut“ sich die Kleider der „echten“ anzieht, um deren Platz zu ergattern. Heute findet diese Rivalität nicht nur innerhalb eines Geschlechts statt … und das deutet auf tiefsitzende, alte Gefühle von Benachteiligung hin wie auch, dass sich der oder die „Klagende“ (im Doppelsinn des Wortes) offene Konkurrenz nicht zutraut.

Und nun zu Annalena Baerbock: In ihrem wahlkampf-zeitgerecht erschienen Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ finden sich unausgewiesene sogenannte Zitierungen von Parteikollegen (Der Standard, 06.07.2021, S. 4), sagt u. a. Stefan Weber. Aus meiner Sicht liegt das Problem der grünen Kanzlerkandidatin aber nicht darin, dass zig-mal gehörte Slogans wiederholt werden (von denen man oft gar nicht mehr weiß, von wem sie stammen), sondern dass zu wenig Eigenständiges präsentiert wird – und dass dem unterlegenen Gegenkandidaten Robert Habeck ein Vergleich der Ideen erspart wird.

Ich frage aber auch: Wem gehört in solch einem Kontext das geistige Eigentum – dem (möglicherweise nicht ortbaren) Erstformulierer – oder den einzelnen, die es wiederholen – oder der Partei?

Ich kann mich noch gut erinnern, wie in meinem Erststudium Rechtswissenschaften die Frage gestellt wurde: Wenn jemand einen textilen Stoff, der jemand anderem gehört, ohne dessen Erlaubnis zu einem Kunstwerk verarbeitet – wem gehört dieses dann? Die Antwort lautete damals: Das entscheidet der höhere Wert, den das Objekt im Vergleich von vorher und nachher besitzt.

Wenn man also Plagiate und angebliche Originale vergleicht, sollte doch auch der Zugewinn an Mehrperspektivität, oder an Innovation, oder an Zukunftsperspektive, oder was sonst als die Allgemeinheit bereichernd argumentiert werden kann, den Ausschlag geben – und nicht etwa der soziale Rang der jeweiligen Person.

(Die weiteren Kritikpunkte an der Person Baerbock lasse ich absichtlich aus, weil mein Ziel weder Verteidigung noch Anklage ist, sondern nur, Denkanstöße zu geben.)