Dass sich Sprache ändert, sollten wir alle, zumindest oberflächlich, im Schulunterricht gelernt haben – Stichwort Lautverschiebungen (Beitrag germ. Lautverschiebungen.pdf (uni-leipzig.de)) oder Erinnerung an die „Invasion“ französischer oder englischer Wörter in die Alltagssprache (von den tschechischen oder jiddischen Gastwörtern sprechen wir weniger gern – und schon gar nicht von den „Eindeutschungen“ in der NS-Zeit s. Spielleiter statt Regisseur etc.). So weit so gewohnt.

Nun sorgt ein Leitfaden für diskriminierungsfreies Formulieren aus der Kärntner Landesregierung für Verwunderung bis Empörung – auch wenn er, wie erklärt, nur als Anregung gedient haben sollte (Kärntner Gender-Leitfaden: Umstrittenes Wörterbuch wird zurückgezogen | Kleine Zeitung). Mich empört das nicht – ich finde ihn, bzw. die Beispiele, die ich in den Tageszeitungen lesen konnte (z. B. „Das Gendern erregt die Kärntner“, Der Standard, 16.12.2022, Seite 7), einfach nur peinlich schlecht gemacht. Dabei gab es an der Uni Klagenfurt sogar einst einen Experten, Heinz-Dieter Pohl (*1942), der z. B. in seinem Beitrag „Wie die ,politische Korrektheit‘ die Wissenschaftsfreiheit einschränkt – aus sprachwissenschaftlicher Sicht“ in dem Buch „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ (Hrsg. Harald Schulze-Ehrentraut / Alexander Ulfig) aufzeigt, dass bei Geschlecht zwischen dem generischen Maskulinum (der Bär), dem generischen Femininum (die Katze), dem grammatikalischen Geschlecht (der, die, das) und biologischen (männlich, weiblich) zu unterscheiden ist, wobei die biologische Form zum generischen auf grammatikalische Weise in der Endung ausgewiesen wird (meist mit „in“ feminisiert wie bei „Bärin“) (Seite 63 ff.).

In meinem letzten Buch „Sprechen ohne zu verletzen“ (erschienen Mitte November – nur bei mir bestellbar) habe ich aus dem Buch „Frauen denken anders“ (Hrsg, Marit Rullmann / Werner Schlegel) zitiert: „Der Wortstamm ,frau‘ bedeutete dagegen ursprünglich im Germanischen ,hochgestellte Person‘. Durch die Endung ,jo‘ wurde daraus eine weibliche, mit ,ja‘ eine männliche Person.“ (Seite 111 f. im Original, Seite 46 bei mir).

Sprache sollte lebendig bleiben dürfen – und zur Lebendigkeit gehört auch, Grenzen zu respektieren. Fixe Sprachregeln sind allerdings ein Zeichen von Starrheit. Tod. Insofern ist es sinnvoll, Sprachsensibilität einzuüben – aber eben mit „Sinn“!

Der nunmehr zurückgezogene Leitfaden der Kärtner Landesregierung wollte den Beamt:innen offenbar „Besinnung“ ersparen und zu „Gleichsprech“ (à la „Neusprech“ in George Orwells Buch „1984“) motivieren.

Die Zurücknahme des Produktes finde ich falsch: Besser wäre gewesen, es als „ersten Entwurf“ einer breiten Diskussion zuzuführen (auch wenn vermutlich im „Germanen-treuen“ Kärnten heftige Debatten losgetreten würden … aber in Österreich soll ja laut Verfassung „das Recht vom Volke ausgehen“, und zwischen Diskriminierungsvorsicht und Zwang zu einer politischen Kampfsprache, egal ob feministisch oder nationalistisch, ist ein Riesenunterschied!) – vor allem auch, um die Gewaltausübung durch behauptete angebliche Beleidigung  / Verletzung seitens lautstarker Minderheiten auszudiskutieren.

Mit welchem Gefühl wir reagieren (wollen), entscheiden wir selbst. Man braucht dazu nur eine kurze Nachdenkpause und Mut zur Selbstgestaltung. Ob wir unsere persönlichen Grenzen verbal – oder auch nonverbal – verteidigen (wollen), entscheiden wir selbst. Nur weil diese Wahlmöglichkeit in der Alltagsgeschwindigkeit meist untergeht (und weder erklärt noch vorgelebt wird – worum ich mich seit Jahren in meinen Büchern und Seminaren abmühe), wird Unterwerfung unter „Genugtuung“ verlangt und – ebenso unbedacht – „des Friedens willen“ geleistet.

Sprachleitfäden vorzugeben ist nicht nachhaltig. Es entspricht dem juristischen Denken in Paragraphen.

Nachhaltig wäre ein pädagogischer Zugang, der Einsicht wie auch Mediation bei widersprüchlichen Interessen ermöglicht. Die Methoden dazu gibt es, gewaltverzichtende – leider auch massiv gewalttätige, welche ich ablehne, weil sie gesundheitsschädlich sind, aber auch da sollte immer das Wie dazu erklärt und Alternatives angeboten werden. Die Pilotangebote könnten in Seminarform sowohl für Lehrkräfte wie auch Beamt:innen gemeinsam Basiswissen aufbauen. So geht Bürgernähe!