Üblicherweise wird jemand als Nestbeschmutzer bekrittelt, der wagt, Unregelmäßigkeiten in der Familie, im Betrieb oder im eigenen Staat öffentlich zu machen. Loyalität, Corpsgeist – ich nenne es „Krähensolidarität“ (denn eine hackt der anderen laut Volksmund kein Auge aus) – gilt als hoher Wert.

Andersrum wird wiederum Außenstehenden Kritikberechtigung abgesprochen – selbst wenn sie nur eine Beobachtung darstellt und keine Wertung.

Derzeit wird Österreichs Botschafterin in der Schweiz, Ex-Außenministerin Ursula Plassnig, z. B. von der Basler Zeitung als „Verwirrte Diplomatin“ und „erstaunlich frech“ bezeichnet (Salzburger Nachrichten,  25.08.2018, Seite 9) , weil sie es gewagt hätte, eigene Beobachtungen und Gedanken über ihr Gastland in einem Interview mit Avenir Suisse zu reflektieren.

Mehr Respekt für die Person wäre angesagt – nicht unbedingt für unbeliebtes Verhalten, das darf schon, aber bitte sachlich, kritisiert werden.

Der Politikanalyst Peter Plaikner qualifizierte daraufhin in den Salzburger Nachrichten (s. o.) „fahrlässige Empörung“. Aber wen meint er damit? Den medialen Unmut Schweizer Kommentatoren – oder die darauf basierende Schlagzeile „Österreichs Botschafterin brüskiert die Schweiz“ in der „Krone“ online – also eine nachfolgende Interpretation, und er konstatiert: „Die Erfolgsbasis für solch eine Strategie ist die Unfähigkeit des Publikums, zwischen journalistischer Information und parteilichem Artikel zu unterscheiden“.

Ich meine: Parteilich darf man schon sein – man muss es nur deklarieren, und das macht man am besten, indem man die persönlichen Ansicht mit Ich-Bezug betont und sich nicht hinter „man“ oder passiven Formulierungen versteckt.

Wer sich intensiv mit Sprachmanipulationen auseinander setzt (so wie ich seit 1986!), erkennt bald: Im „ich“ steckt die subjektive Vereinzelung und zu der braucht man einerseits Fachwissen zur Begründung und andererseits Mut, Angriffe durchzustehen – im „man“ hingegen wird allgemeine Zustimmung vorgetäuscht oder angelockt. Und in Passivformulierungen (Politsprech: „Wird einer Erledigung zugeführt werden“ statt „ich werde das erledigen“) lassen überhaupt jeglichen Personbezug und damit Verantwortung offen.

Zu solchen sprachlichen Strategien gehört auch, auf der Zeitlinie dort ein „Komma des Beginns“ zu setzen, wo das Vorhergehende der Wahrnehmung entzogen werden soll: Beispielsweise indem man von Nestbeschmutzung spricht, wenn auf bereits bestehenden Schmutz oder auch nur „Verstaubtheit“ (ist ja auch eine Form von Schmutz) hingewiesen wird. Ich plädiere für Friedfertigkeit und dazu gehört zuerst nachzufragen, Beweise einzufordern, auch eigene Verletztheit zuzugeben und nicht gleich zum Angriff überzugehen.

Ich habe in meiner Zeit als Politikerin in den Medienschulungen immer wieder gehört: Für Zeitungen ist nur das eine „G’schicht“, was das erste oder letzte Mal geschieht, ein Wunder ist oder ein Skandal, und bei letzterem wird gerne nachgeholfen. Und vielleicht geht es auch gar nicht um die Sache sondern die person. Mir fällt ein, dass Ursula Plassnig einmal in einem Brief an die „Krone“ mit „unbeeindruckt“ unterschrieben hat (Die Presse, 30.06.2008).