Da las ich doch soeben „Mann schlägt seine Freundin (31) tagelang – Kärnten | heute.at“ – ein 44jähriger „verlor völlig die Nerven“ und „schlug zu“ und „offensichtlich nicht das erste Mal“.

Diese vielfach benützte Ausrede für gewalttätiges Verhalten ist unwahr: Nerven kann man nicht „verlieren“ – man hat sie immer (auch wenn sie zerstört wurden, und da kann man vorhandene medikamentös anregen, die Funktionen der fehlenden zu übernehmen). Was man verlieren – oder besser „wegschmeißen“ – kann, ist beispielsweise Selbstbeherrschung, Anstand, Respekt und – Vernunft.

Wegschmeißen ist ein Willensakt, genau so wie zuschlagen, und der sollte daher begründbar sein, zumindest wenn man über sich selbst, sowie Motive und Ziele nachdenkt – und deshalb sollten Begründungen auch eingefordert werden: Damit man anfängt, nachzudenken. Ein Grund kann etwa in der Entscheidung für Selbstverteidigung liegen, oder auch im Versuch, seine Empörung darüber auszudrücken, physisch angegriffen worden zu sein. Die häufigsten Gründe sind aber, jemand anderen einzuschüchtern, zu demütigen, zu bestrafen und „klein zu kriegen“. Da steckt bereits das Wort „Krieg“ drin.

Wer selbst von klein auf gedemütigt wurde, findet nichts dabei, andere zu demütigen – nicht nur, weil er oder auch sie das so vorgemacht bekommen hat, sondern weil es für diese Menschen „normal“ ist. Dass immer Schwächere als Prügelknaben oder meistens Prügelmädchen ausgewählt werden, fällt dann nicht auf – dabei wäre genau das ja das Anzeichen der innewohnenden Feigheit.

Wenn jemand aber den Mut hat, sich gegen eine Übermacht aufzulehnen, sagt man oft bewundernd „Du hast aber Nerven!“ und meint damit oft die Risikoübernahme – oder aber Geduld.

Ja, in unseren Nervenzellen ist alles gespeichert, was wir „können“, d. h. „gelernt haben“. Lernen bezeichne ich daher als Bildung neuer Wahrnehmungs- oder Handlungs-Neuronen, und je mehr wir davon erworben und als sogenannte Neurosignaturen miteinander vernetzt haben, desto intelligenter sind wir.

Zur Intelligenz – zur Wahrnehmungsfähigkeit und Erkenntnis, dass man etwas „lernen“ sollte oder müsste – gehört auch zu merken, wenn man wütend wird, denn Wut oder Aggression entsteht nicht plötzlich, wie angeblich Donner oder Blitzschlag (denn auch ein Gewitter baut sich durch „Aufladung“ der Atmosphäre auf und intelligente Menschen spüren das schon lange bevor es losbricht und können präventiv vorsorgen) – sie hat immer eine Geschichte und es besteht daher immer Zeit, sich aus dem „Kampfplatz“ herauszunehmen.

Neurotisch heißt daher in meiner Interpretation: Ein Verhalten ist durch eigene frühe Erfahrungen neuronal verankert („erlernt“) worden, aber man war / ist nicht intelligent genug, den Veränderungsbedarf zu erkennen.

Gewalttätige Menschen können es sich also aussuchen, ob sie neurotisch oder unintelligent bleiben wollen.