Ob ich Donald Trump für einen Narzissten halte – oder gar Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, fragte mich der Journalist, weil sie doch unentwegt in die Öffentlichkeit drängten? Nein antwortete ich (nachzulesen in der heutigen Furche): Gandhi war Rechtsanwalt, King war Pastor, beide Berufe qualifizieren ihre Angehörigen dazu, überzeugende Reden zu halten – das sei ja wesentlicher Bestandteil dieser Profession, weswegen man sie bezahle. (Außerdem sollte man auch bedenken, dass beide eine „Prophetenberufung“ hatten – nämlich Ungerechtigkeiten aufzuzeigen – und dass sie ihr Risiko, ermordet zu werden, kannten – es gab ja genug Drohungen! Einen Narzissten würde das abschrecken und zu einer mehr oder weniger eleganten „Risikoverschiebung“ anregen – aber das würde man schlussendlich erkennen und ihm übel nehmen.)

Bei Trump beobachte ich nicht das typische narzisstische Lächeln (wie bei Boris Johnson) und die triumphierende Freude an der eigenen Überlegenheit, das Runtermachen anderer (wie bei Nigel Farage). Trump zeigt typische Anzeichen von Anstrengung, Kraft darzustellen, seine Atmung ist gepresst, sein Blick leer, seine Mundwinkel sind beleidigt herabgezogen, seine Gestik ist stereotyp – so etwas ist nicht antrainiert, sondern enttarnt sich als Haltung, nicht genug Anerkennung zu erhalten (und die wird gleich auf das ganze Land verschoben: to make America great again) – aber das würde ich nicht als narzisstische Dauerkränkung pathologisieren, sondern als Verbitterung verstehen – vielleicht wegen des Alterns? Wegen befürchteter Enttarnung als Popanz?

Es gibt  aber auch einen „gesunden“ Narzissmus: Wenn manfrau sich freut, dass einem/r etwas gelungen ist, oder wenn echte Anerkennung gespendet wird (und nicht nur Speichelleckerei oder verführerischer Vampirismus). Und wenn man spürt, mehr aus sich herausholen zu können – bis man irgendwann erkennt: Mehr ist da nicht mehr drin (was sich allerdings manchmal als Irrtum herausstellen kann – es gibt ja auch späte Anerkennung).

Der amerikanische Historiker Christopher Lasch (1932–1994) nannte die Gegenwart „Das Zeitalter des Narzissmus“ (so sein Buchtitel) und vermutete hinter diesem Pseudoselbstbewusstsein Zukunftsängste vor Machtlosigkeit. Ich habe in meinem Buch „Die reuelose Gesellschaft“ (Residenzverlag, 2013), in dem ich die „7 Todsünden“ als Psychopathologielehrbuch (der 7 häufigsten psychischen Erkrankungen) und darin den Stolz als narzisstische Störung interpretierte, hingegen kritisiert, dass man heute ein Image „braucht“ (und womöglich einen Image-Coach!) bzw. Selbstdarstellungen mittels Selfies auf Facebook obligat erscheinen – auch wenn sie keinerlei News-Wert besitzen, gleichsam: Was früher als „Sünde“ (Wortstamm wie in „sonder-lich“) verstanden wurde, wird heute als Tugend propagiert. Aber tatsächlich liegt Gesundheit wie so oft in der Mitte – in der Balance der eigenen Seelenanteile.