Ein mutmaßlicher Terrorist, der „voreilig“ nach Tunesien abgeschoben wurde, muss deswegen nach Urteil eines deutschen Oberverwaltungsgerichts zurückgeholt werden, obwohl er als Gefährder gilt und ein Einreise verbot in den Schengen-Raum besteht (Salzburger Nachrichten, 20.08.2018, S. 3).

Der Beamte folgt der juristischen Logik: Wenn irgendwo / irgendwann in einem Verfahren ein Fehler gemacht wurde, hebt man alles nachfolgende auf und verweist an den Zeitpunkt vor dem Fehler zurück.

Wenn eine Mutter ihre Kleinkinder bei Gluthitze im versperrten Auto allein zurücklässt und Passanten die Polizei rufen, weil die Kleinen zu kollabieren drohen, ziehen die Beamten unverrichteter Dinge ab, wenn die Mutter am Ort des Geschehens erscheint – es gibt ja keinen Beweis, wie lange die Kinder eingesperrt waren, und: Sie leben ja noch. (newsletter@reply.oe24.at , 20. august 2018, 17 h)

Gesetzestreue ist ein hoher Wert – sie sollte aber nicht den „gesunden Menschenverstand“ außer Kraft setzen.

Ich habe seinerzeit im Jusstudium gelernt: Im ethischen Dilemma – also im Zweifel, ob man der Vorschrift folgen soll oder dem (akuten oder potenziellen) Schutz von Menschen – muss man dem „höherwertigen Gut“ den Vorrang geben und das bedeutet, selbst zu bewerten und seinem Gewissen zu folgen. Auch wenn man damit Vorschriften verletzt. Das braucht Mut.

Im geschichtlichen Rückblick werden Widerstandsmutige wie die Geschwister Scholl oder Franz Jägerstätter als Helden geehrt (und von Überpflichtbewussten als Staatsfeinde oder Kriegsdienstverweigerer geächtet).

Im Alltag der Gegenwart passen sich viele lieber an und verteidigen sich damit, sie hätten eben ihre Pflicht getan. Für diese bedenkenlose Unterwerfung sorgt die „Schere im Kopf“, die wie ein Cutter im Filmstudio alle der Obrigkeit möglicherweise unlieben Szenen im cerebralen „Bio-Kino“ wegschnippelt.

Bei Gericht gibt es nach unserem Rechtssystem Instanzenzüge zur Korrektur, und bei Flucht- bzw. Wiederholungsgefahr präventive Anhalte-Möglichkeiten. Ohne vollendete Straftat soll und darf es keine gerichtliche Strafe geben. Verwaltungsstrafen aber schon – das wissen wohl alle mit Erfahrung im Straßenverkehr. Gefährdung genügt. Für die gedankenlos grob fahrlässige Mutter wäre ein Organmandat fällig gewesen bzw. eine Anzeige nach § 92 StGB (Vernachlässigung Unmündiger oder Wehrloser) – eine Mutprobe für die einschreitenden Beamten (bei den heute allgegenwärtig bedrohlichen Wut-Bürgern).

Was nämlich nicht bedacht wird: Solche Erlebnisse verändern die Gehirnorganisation der lebensgefährdeten Kinder und stellen daher eine schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung dar. Bei so kleinen Kindern wie denen von heute wird man allfällige Symptome mit „Kinder sind halt so“ ignorieren; erst bei Schul-, Berufs- und Beziehungsschwierigkeiten wird es vielleicht Auffälligkeiten geben – und dann wird kaum jemand die Verbindung (und Erlösungschance) zu diesem Trauma herausfinden, außer durch Zufall (oder mittels sehr exklusiver psychotherapeutischer Methoden).