Halt! Gewalt!

Es gibt Wissenschaftler, die Begriffe wie Entfremdung, Heteronomie (Fremdherrschaft) oder Gewalt als Empfindung mangelnder Übereinstimmung mit dem eigenen Ich bezeichnen, zitiert der Wiener Philosoph Robert Pfaller z. B. Richard Sennett. Ich sehe darin eine Äußerung dessen, was Irenäus Eibl-Eibesfeldt als „Dogmatismus-Quotient“ nennt (ausführlicher von mir erklärt in meinem Text „Die Palmström-Doktrin“ auf meinem Blog www.taofrau.at): Akzeptiert wird nur, was zum eigenen Wahrheitsanspruch passt.

Der norwegische Friedensforscher und Träger des Alternativen Nobelpreis Johan Galtung (* 1930) hingegen definiert Gewalt als feindseligen Akt, der das Potenzial der adressierten Person schädigt – und zu diesem Potenzial gehört auch die Unversehrtheit des kritischen Denkens. Dieses wird ja bereits kleinen Kindern abgesprochen und ausgeredet, wenn sie eine den Eltern unliebsame Wahrheit aussprechen – und genau das ist gegenwärtig ein Problem auch für die Älteren, wenn ihnen in manchen Medien wie auch sozialen Netzwerken „fake news“ vorgesetzt werden. Es ist aber auch ein Problem, wenn jemand „mit Gewalt“, d. h. mit massivem Stimm- und Energieeinsatz, seine Sicht der Dinge durchsetzen will. Patricia Evans bezeichnet diese Methode in ihrem Buch „Worte die wie Schläge sind“ als „crazy making“: Es wird etwas so lange behauptet, bis die derart „attackierte“ Person das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung verliert.

Mich hat heute der Betriebsrat des Mannes, der mich gestern zu Boden geschlagen hatte, telefonisch dazu bringen wollen, die polizeiliche Anzeige zurück zu nehmen. Ich musste ihn mehrfach daran erinnern, dass Körperverletzung eine Offizialdelikt ist, also von der Staatsanwaltschaft verfolgt wird, und auch Ärzte verpflichtet sind anzuzeigen, wenn bei Verletzungen Verdacht auf Fremdeinwirkung besteht. Und ich musste ja meine sichtbaren (!) Verletzungen im Spital untersuchen lassen, um allenfalls innere auszuschließen. Nur bei Gewalt in der Familie kann die misshandelte Person (meist die Ehefrau) die Anzeige zurück ziehen – und wird ja auch vielfach von Täterseite, dessen Eltern mitgemeint, dazu gedrängt. Um des Familienfriedens wegen, heißt es dann, oder um das berufliche Fortkommen nicht zu gefährden – aber diese Gefahr hat der Täter ja selbst verursacht. Daher wird das Komma (eine Zäsur) auf der Zeitlinie gerne erst bei der Anzeige gesetzt – nicht bei den Vorkommnissen vorher. Die werden gelöscht. Auch das gehört zum „crazy making“.

Ich habe dem Herrn Betriebsrat gesagt, dass ich seinen Einsatz für den Kollegen durchaus zu schätzen weiß, aber dass der Mann schon die Verantwortung für sein Handeln tragen muss. Daraufhin erlebte ich einen Einschüchterungsversuch: Ich stünde ja selbst problematisch da, hätte ich doch zuerst zugeschlagen. Daraufhin musste ich die Zeitlinie in Erinnerung bringen: Ich wurde körperlich attackiert und habe mich gewehrt, indem ich den wutverzerrten Angreifer mit einem Backenstreich zur Besinnung bringen wollte (was leider nicht glückte). Daraufhin wechselte dessen Fürsprecher seine Taktik und appellierte an mich als Pfarrerin, ich (!) müsste doch im Sinne Jesu gewaltverzichtend agieren (wobei Jesus übrigens in Mt 10, 37 betont „Ich bin nicht gekommen den Frieden zu bringen sondern das Schwert“). Ich antwortete: Wenn der Täter zu mir in dieser Berufsrolle – also als Beichtender – käme, würde ich versuchen, ihn zur Verantwortungsübernahme zu motivieren, weil eben nur „die Wahrheit frei macht“ (Johannes 8, 32). Aber als vom Erstberuf Juristin poche ich auf Respekt vor dem Gesetz – und stelle mich dem ja auch selbst.

Und dann habe ich freundlich gesagt, dass ich das Telefonat jetzt beende, weil wir uns im Kreise drehen. Er will seinen Willen durchsetzen – und ich wehre mich dagegen. Schon wieder. Und das im geschwächten Schmerzzustand meiner Gehirnerschütterung … aber womöglich war das von ihm einkalkuliert.