Die Neos fordern ein Verbot der „Konversionstherapien“, mit denen homosexuell l(i)ebende Menschen angeblich auf heterosexuell umgepolt werden können (Der Standard, 01.06.2921, S. 10). Für mich fällt das wieder mal unter „Dornröschen-Syndrom“: Spindeln verbieten, damit sich Dornröschen nicht daran stechen kann – und dann passiert ihr das doch. Aufklärung wäre besser.

Psychoanalytisch gesehen sind wir alle „multisexuell“ – wir tragen in uns alle Optionen, in wen wir uns verlieben und wie wir einander nahekommen, und das kann sich im Laufe des Lebens ändern, nicht nur in Richtung Coming Out als schwul oder lesbisch, sondern auch umgekehrt. Ich lernte im Laufe meiner über 50 Jahre beratender und psychotherapeutischer Berufspraxis einige schwule Männer kennen, die sich zu ihrem eigenen Erstaunen (und auch Sorge vor Entdeckung in der gay community) in eine Frau verliebt, diese auch geheiratet, und dann manchmal wieder mit Männern „betrogen“ hatten; die Wiener Schriftstellerin Karin Rick hat diesem Wandel-Thema weiblicher sexueller Orientierung sogar ein ganzes Buch gewidmet, „Der Rückfall“ (Wiener Frauenverlag).

Was macht es manchen Leuten so schwer zu respektieren, dass sexualmündige Menschen (mit 14 Jahren und großjährige sowieso) ihr Sozial- und Sexualleben selbst bestimmen? (Wobei ich bei der Silbe „sexual“ primär die Geschlechtsidentität anspreche, nicht die variablen Praktiken; staatlich wird sie nunmehr nicht nur als männlich und weiblich zur Kenntnis genommen, sondern auch eine dritte Option zugelassen; in anderen Kulturen gibt es sogar noch mehr Möglichkeiten!)

Der emeritierte Professor für Theoretische Physik an der Universität Wien, Herbert Pietschmann, formulierte einmal, die Reife einer Gesellschaft zeige sich an ihrem Umgang mit dem Widerspruch. Widerspruch ist aber nicht nur ein ausgesprochenes Widerwort sondern alles Gegensätzliche; ob man dies als Pendent sieht, als Ergänzung oder als Feindbild, hängt von der Sicherheit der eigenen Persönlichkeit und damit auch Geschlechtsidentität ab; deswegen wird ja auch diagnostisch zwischen ich-syntoner (man akzeptiert sich selbst so wie man ist) und ich-dystoner Homosexualität (die einen belastet und die man aus Eigenem weghaben will – meist eine Folge von einschränkender Erziehung, familiärem Druck, Bullying in der Schule, Mobbing am Arbeitsplatz wie auch Verspottung – aber da muss man zuerst diese Traumata bearbeiten und abwarten, welches seelische Wachstum danach ermöglicht wird) unterschieden.

In meinem (vergriffenen, Restexemplare bei mir) Buch „Sein wie Gott – Von der Macht der Heiler. Priester Psychotherapeuten Politiker“ (Kösel, München 2002) habe ich geschildert, wie deren Urtyp, die SchamanInnen, die diese drei Funktionen in sich vereinigten und dazu noch Lehrer, Richter und Dichter, Seher und Sänger waren, vielfach auch „allgeschlechtlich“ (oder gar nicht) festgelegt waren. Sie waren etwas Besonderes und als Bereicherung des Gemeinwesens hoch angesehen. Allerdings verläuft die Berufung zum Schamanen meist über eklatante Leidenszustände – aber die werden nicht durch die Gemeinschaft zugefügt.

Warum also jemand durch Zwangs-Gehirnwäsche leiden lassen? Weil er oder sie wagt, weitgehendste Freiheit der Liebe zu beanspruchen? Und nicht elterlichen (oder staatlichen) Ansprüchen, durch Clanbildung und Vermehrung deren Wünschen nach sozialem Aufstieg, mehr Macht und Reichtum zu entsprechen? Wie wenn das alles in der eigenen Macht läge!

Mit einem Verbot werden sich diese Wünsche, Hoffnungen oder nur Begehrlichkeiten nicht tilgen lassen (und auch nicht allfällige therapeutische Kunstfehler). Wichtiger wäre das Gebot, die Menschenwürde derjenigen, die anders sind als man selbst, zu respektieren und zu verteidigen – genau so, wie man es selbst am eigenen Leib erleben möchte.