Unter Stalin war es üblich, unliebsame Genossen aus Fotos heraus zu retuschieren. Ähnliches geschah der Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer orthodox-jüdischen Zeitung anlässlich eines Gruppenfotos von Regierungschefs, auf dem sie als einzige Frau hervorstach. Und auch in Niederösterreich ist es unlängst vorgekommen, dass ein Kommunalpolitiker der „anderen“ Partei aus einem Foto entfernt wurde …

Heute lese ich im Standard auf Seite 4, kleine Meldung ganz unten: Titel „Expertin will für Uno mehr Macht für Ermittlungen“. Und dann: „Genf – Aus Anlass der Ermordung des saudischen Regimekritikers Jamal Khashoggi im Oktober 2018 hat die zuständige UNO-Menschenrechtsexpertin in Genf mehr Macht für die Uno gefordert, damit sie solche Fälle strafrechtlich untersuchen kann. Die UNO-Mitgliedsländer könnten eine ständige Einheit schaffen, die Ermittlungen aufnehmen kann. Eine solche könne durch eine Resolution der Vollversammlung oder des Menschenrechtsrats geschaffen werden.“ Der Name der mutigen Expertin ist ausgelassen worden – der des „Anlassfalles“ nicht. Ich sehe darin die gleiche Geisteshaltung, unliebsame Personen zu „löschen“.

Sie heißt Agnés Callamard. Und sie warf Saudi-Arabien eine vorsätzliche Hinrichtung vor, wie ich bei meiner Internet-Nachforschungen zur aktuellen Meldung feststellen konnte. Dann habe ich ihre Biographie recherchiert – beeindruckend. Gerade vom Standard, in dem die mit Menschrechtspreisen ausgezeichnete (im wahrsten Sinn der Wortes!) Irene Brickner schreibt, hätte ich mir mehr Information über die „Sonderberichterstatterin für außergerichtliche, standrechtliche und willkürliche Hinrichtungen“ im Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte erwartet. Gerade solche Frauen, die sich gegen Staatsmacht für Gerechtigkeit einsetzen, brauchen besonderes Unterstützung für ihre Arbeit gegen Gewalt – und deswegen sollte man sich ihren Namen merken (können), um sie in der „like-Gesellschaft“ zu fleißig anzuerkennen.

Ich erinnere wie schon öfters: In der Psychoanalyse nennen wir es „Parallelprozess“, wenn das Thema, zu dem man arbeite, plötzlich auf einen selbst zurück fällt …

Aber vielleicht „darf“ Irene Brickner diese spannende Frau quasi als Wiedergutmachung doch noch ausführlich vorstellen?