So wie Mediziner „geadelt“ werden, wenn eine Krankheit nach ihnen benannt wird (siehe Alzheimer, Bechterew oder Crohn), finden auch andere Forscher Ewigkeits-Ruhm, wenn sie Namensgeber sind. Oft ist es mühselig, ein neues Wort – einen „Neologismus“ zu erfinden um eine Sichtweise zu beschreiben, die bisher noch nicht bewusst eingenommen wurde.

Andreas Salcher ist ein Meister für Neuwortschöpfungen. Klingt „Osterhasenpädagogik“  – „Der Lehrer versteckt das Wissen vor seinen Schülern, und die müssen danach suchen, ,so als ob‘ es Ostereier wären“ — nicht wunderbar? (Erweitere Neuauflage „Der talentierte Schüler und seine ewigen feinde“, Seite 15.) Oder „Michelangelo Prinzip“?, nämlich die Gefahr, sich zu niedrige Ziele zu setzen. Aber dann findet sich in seinem Buch auch der Ausdruck „Lehrer-Trieb“ (Seite 265) und da bin ich nicht sicher, ob diese Wort- bzw. Begriffsneuschöpfung von Salcher stammt – denn unter dem letzten Satz dieses Schlusskapitels steht ein anderer Name, aber dieser wird im Inhaltsverzeichnis nicht als Co-Autor ausgewiesen. Also musste ich erst googeln um herauszufinden, wer Alexander Doepel ist — jedenfalls auch fand ich ihn nicht in Pädagogikfeldern, eher in der Architektur, und da ich bekanntlich sehr kritisch bin, will ich schon Qualifikationen und Kompetenzen genau wissen – denn den kurzen Hinweis in der Danksagung am Schluss des Buches hatte ich überlesen (und vielleicht war das auch generell beabsichtigt).

Herr Doepel schreibt: „Dabei ist Lehrersein der natürlichste Beruf der Welt. Es ist ein Trieb. Der Muttertrieb kann – im besten Fall – knapp mehr als die Hälfte der Menschen bewegen. Der Lehrertrieb steckt in jedem geistig gesunden Homo Sapiens.“ Und er verrät auch das Ziel: „Wissen und Fähigkeiten weiterzugeben, Verhalten zu formen, Werte zu vermitteln, Anschauungen zu verbreiten – dieses triebhafte Handeln können wir bei jeder wachen Person jeden Alters beobachten.“ Er propagiert also Indoktrination – und versteckt es in der Behauptung eines Triebes.

Über Triebe und Triebschicksale diskutieren wir PsychoanalytikerInnen seit Jahrzehnten unsere differenzierten Positionen. Die phantasievolle Begriffsneuschöpfung  „Aggressionstrieb“ des NS-belasteten Verhaltensforschers und Zoologen Konrad Lorenz (1903–1989) hat darin keinen Platz.

Abgesehen davon, dass Herr Doepel nicht weiß, dass „muttern“ ein soziales Verhalten ist, dass auch Männer aufweisen können (wenn sie Fürsorge statt Dominanz leben) und zwar gar nicht so wenige (vgl. Nancy Chodorow, „Das Erbe der Mütter“), ist das, was er „Lehrertrieb“ nennt der verinnerlichte Besser-Wisser- und Klon-Anspruch („Du sollst keine anderen Lehrer haben außer mir“). Ich pflegte solche Anwandlungen bei mir selbst scherzhaft als „missionarischen Eifer“ zu bezeichnen – und wieviel Machtanspruch und Gewalt darin steckt, hat die Geschichte des Umgangs mit indigenen Völkern gezeigt.

Vermutlich hat Herr Doepel sich noch nie mit non-direktivem Unterricht beschäftigt. Von dem hochgebildeten Andreas Salcher nehme ich das aber sehr wohl an; ich hätte mir von ihm als Vorkämpfer gegen Gleichmacherei nach unten schon auch Sensibilität für den konstruktiven Eigensinn von Kindern erhofft. Aber dazu braucht man(n) vielleicht mehr und jahrelange praktische Erfahrung mit Kindern aller Altersstufen, als nur die  Sammlung des breiten Theoriewissens von Praktikern.