In den Salzburger Nachrichten vom 7. September, Seite 19, wird die Rechtfertigung des wegen Vergewaltigung einer 44jährigen, der er „Hilfe beim Übersiedeln“ angeboten hatte, rechtskräftig zu zwei Jahren Haft (vier Monate davon unbedingt mit Psychotherapie-Auflage) verurteilten 20jährigen mit „Ich hatte schon so lange keinen Sex mehr“ berichtet.

Bei der – leider durchaus üblichen – Formulierung „Sex gehabt“ fällt mir sofort Erich Fromms Klassiker „Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ aus 1976 ein: Haben-Menschen wollen besitzen und konsumieren, Sein-Menschen wollen sich selbst verwirklichen – und diesen Unterschied erkennt man auch an der jeweils verwendeten Sprache.

Fromm schreibt: „Eine gewisse Verschiebung des Akzents vom Sein zum Haben lässt sich sogar an der zunehmenden Verwendung von Hauptwörtern und der Abnahme von Tätigkeitswörtern in den westlichen Sprachen innerhalb der letzten Jahrhunderte feststellen.

Ein Hauptwort ist die geeignete Bezeichnung für ein Ding. Ich kann sagen, dass ich ein Ding habe, zum Beispiel einen Tisch, ein Haus, ein Buch, ein Auto. Die richtige Bezeichnung für eine Tätigkeit, um einen Prozess auszudrücken, ist ein Verb: zum Beispiel ich bin, ich liebe, ich wünsche, ich hasse usw. Doch immer häufiger wird eine Tätigkeit mit den Begriffen des Habens ausgedrückt, das heißt ein Hauptwort statt eines Verbs verwendet.“ (dtv 1979/80101.–130. Tausend, S 31 f., Kursivsetzungen im Originaltext.)

Sex zu haben oder zu wollen ist etwas anderes als zu begehren, zu ersehnen oder gar zu lieben. Es ist die Verdinglichung der anderen Person zu einem Konsumartikel.

In dem von – vom Vatikan seiner Lehrbefugnis enthobenen r.-k. Schweizer Theologen und Priester – Hans Küng (1918–2021) formulierten „Weltethos“, das sich in vier Geboten in allen Hochreligionen findet, weil sie alle vier die leibseelische Gesundheit (und damit die Gottähnlichkeit des Menschen, vor allem der Täterperson) beschädigen bzw. vernichten, steht neben Tötungs-, Lügen- und Diebstahlsverbot das Verbot des Missbrauchs eines anderen Menschen an vierter Stelle: Genau daran sollten wir in unserer „Konsumgesellschaft“, in der uns tagtäglich die Werbebilder in Film und Fernsehen „überfallen“, denken und uns bewusst vor dieser „geistigen Invasion“ schützen.

Bis zu der von mir „kommerzielle Revolution“ genannten Nachfolgephase der „sexuellen“ seit den 1990er Jahren (vgl. mein Buch „Sexuelle Reformation – Freiheit und Verantwortung“, LIT-Verlag 2017) – und den fast nur von Frauen getragenen Protestbewegungen gegen sexuelle Ausbeutung und Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen darf der Widerstand gegen die Ignoranz von Sprachgewalt nicht fehlen, finde ich und leiste ihn auch wo immer ich Raum und Zeit dazu finde – und höre nicht auf, diese Sensibilität auch für den schulischen Sprachunterricht einzufordern … und hoffe auf Unterstützung …