Es wären Kurzschlusshandlungen gewesen, behauptete der 61jährige Volleyballtrainer, der wegen zahlreicher sexueller Übergriffe auf vorpubertäre Mädchen vor Gericht stand, auch wenn in seinem Vorgehen ein gleichbleibendes Schema erkennbar war. Grooming heißen diese Rituale Vertrauen aufbauender Handlungen in der Fachsprache. Auch die Verteidigungsstrategien der Täter sind wohlbekannt: Zumeist wird den Kindern Mitbeteiligung („Mitschuld“) vorgeworfen. Das zeigt aber nur die Interpretationen und Phantasien der Täter – und ihren Mangel Selbstreflexion und damit Selbsterkenntnis.

Wenn also der Täter sagte, er habe „nicht nachgedacht“ (Salzburger Nachrichten, 15. 3., Seite 11), so besagt das zuerst, welche Verhaltensmodelle in seinem Denken gar nicht vorhanden waren (wie Erkennen und Beachten von Grenzen) und zweitens, dass er in der verpönten Situation auch nicht nachdenken wollte. Denn wenn jemand behauptet, er oder sie „konnte“ etwas nicht, hat diese Formulierung Doppelsinn: „Können“ kann heißen, man hat von vornherein das Wissen oder die Fähigkeit nicht, oder es kann heißen, dass man durch eine äußerliche Macht daran gehindert wurde, kompetent zu handeln. Ein klassisches Beispiel wäre das Lenken eines Autos: Im ersten Fall kann jemand nicht, weil er weder Fahrunterricht noch Fahrpraxis besitzt (oder nicht im Besitz seiner geistigen Kräfte ist), im zweiten Fall, weil hinter ihm ein Geiselnehmer sitzt der ihn mit einer Pistole zu Fahrkapriolen zwingt. (Alkohol- und andere Drogenkranke verwechseln meist diese beiden Aspekte, absichtlich oder auch unbewusst.)

Im sexuellen Bereich kommen aber noch andere Faktoren dazu: Durch die jahrhundertelangen Tabuisierungen fehlen den meisten Menschen realitätsgerechter Bezeichnungen für das „Außen“ – das Sichtbare – wie auch Worte für das „Innen“, ihr Innenleben, und damit wiederum die Sensibilität für die Gefühlsreaktionen anderer. So wird beispielsweise Stillhalten als Zustimmung interpretiert und nicht als Angst oder Schockstarre oder Mangel an Widerstandsmodellen. Alles, was wir können, haben wir „erlernt“ – und Kinder werden „brav gemacht“ indem man ihre Widerstandshaltungen sofort unterbindet (wie man es selbst „gelernt“ hat).

Das aus der Elektrotechnik „ausgeliehene“ Wort Kurzschlusshandlung besagt nur, dass die innere „Spannung“ so hoch war, dass die „Sicherung“ versagt hat. Allerdings sind Menschen keine Dinge und „können“, d. h. sind grundsätzlich fähig, autonom, d. h. aus eigenem, ihre „Spannungen“ herabsetzen oder ihre „Sicherungen“ verstärken – wenn sie das wollen. Allerdings muss man ihnen dazu Anleitungen geben – und genau das geschieht nicht. Es geschieht deshalb nicht, weil man das ja vormachen müsste – denn  wir alle lernen an Vorbildern, Nachahmung, Übung und sozialer Bestätigung – und daher selbst in diesen Zustand gelangen müsste und das traut sich nur, wer das wirklich „kann“ (beherrscht) und auch dazu steht … und das in einer Zeit, in der Film und Fernsehen andauernd eine Vielzahl von Modellen von Unbeherrschtheit liefern.

Je öfter eine Information ins Denken eindringt, desto mehr wird sie als „eh normal“ empfunden, wenn nicht gleichzeitig die Information mitgeliefert wird, weswegen wir, die Gesellschaft, das nicht so bewerten. Es geht immer auch darum, was für uns wertvoll ist. Deswegen sage ich immer wieder: Ethik muss wieder modern werden.