Jeder Mensch trifft jeden Tag Entscheidungen: Schon für ein Baby gibt es in jedem Augenblick mehrere Verhaltensmöglichkeiten – aber die Wahl wird spontan, unbewusst getroffen. Manche Menschen behalten diesen „Automatismus“ ihr ganzes Leben bei.

Salutogenese – Aufbau und Förderung von Gesundheit (im Gegensatz zu Pathogenese, der Entstehung von Krankheit) – besteht in meiner Definition im Treffen von bewussten Entscheidungen. Zu diesen gehört auch die jeweilige Wahl der eigenen Gesinnung: Aus welchem „Geist“ heraus soll gehandelt werden – aus einem Kampfgeist oder Friedensgeist? Aus Rachsucht? Eitelkeit? Gier? Zorn? Heißblütig oder eiskalt?

Seit Donnerstag, 24. Februar 2022, dominieren die Berichte und Kommentare zum Einmarsch Russlands in die Ukraine die Schlagzeilen in den Medien, und dabei die Frage, mit welchen Sanktionen (Drohungen, Strafen, Negativfolgen) dieser „Angriff auf Europa“ (Titel auf Seite 1 des KURIER am 25.02.2022) gestoppt werden kann. Das bedeutet, quasi homöopathisch, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen.

Allopathisch hieße, Gewalt mit anderen Mitteln als Gewalt zu „begegnen“, mit Gespräch, daher Vernunft, damit sich keinerlei Negativgedanken einschleichen, und einer Vision, wie komplexes Geschehen umgewichtet werden könnte. (Dabei habe ich das geistige Bild eines Floßes, dessen Lauf sich je nachdem verändert wie man das Gewicht verlagert.) Ansätze dazu gibt es ja auch schon: mit dem Angebot von Verhandlungen.

So beginnen die ersten Schritte gewaltverzichtender Problemlösungen, aber: Jede Mediation setzt voraus, dass es einen übergeordneten Wert gibt – also etwas, was für beide Konfliktparteien unbedingt bewahrt werden soll. Wenn es so etwas nicht gibt – wenn nur eine der beiden (im Vollgefühl der eigenen Macht) den anderen nicht als eigenständig Entscheidenden respektieren will, sind die Bemühungen voraussehbar erfolglos. Das zeigt sich im Alltag immer wieder bei Scheidungsmediationen – und aus dieser Geisteshaltung des Nein kommt man aus meiner Erfahrung nur heraus, wenn man die Entstehungsgeschichte dieser Mentalität erfahren, verstehen und respektieren kann, aber dazu braucht es die intime Offenheit der Neinsagenden, ihre Ängste mitzuteilen. (Meist sind die ohnedies bekannt oder erahnbar, werden aber ignoriert.)

Die Wurzel der Gewalt ist aus meiner Sicht der Vergleich und die Konkurrenz. Ich nenne das das Kain-und-Abel-Syndrom: Man schaut scheelen Blicks auf den oder die Andere:n und fühlt sich durch möglichen Verlust bedroht: Verlust von Anerkennung, Zuwendung, Einfluss, Zugriff, Finanzen … Ehre … oder auch der Chance auf Genugtuung hinsichtlich längst vergangener Verluste. Im Endeffekt gelangt man bei der Erforschung von Konfliktursachen – und jeder Konflikt kann sich zu einem Krieg entwickeln – immer zu vorenthaltenem Interesse an den Interessen des Gegenübers.

Sich vertragen bedeutet Verträge schließen – und das setzt Respekt voraus, wie schwer einem das auch fällt, und Verzicht auf Rache und Demütigungslust.