Es gibt Wochen, da drängen sich nur so die Geschehnisse, in denen wohlversteckte Gewalt hervorlugt – und ich mir dann bewusst Zeit lasse, welches Thema ich als erstes aufgreifen will, denn jede Form von Druck – ob Zeitdruck, Leistungsdruck oder auch der der „Qual der Wahl“ – bedeutet auch, sich selbst Gewalt anzutun.

Eines der Themen, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen, war die sogenannte Lobau-Bewegung: „Camp weg, Protest bleibt“ titelte Der Standard (05./06.02.2022, Seiten 9–11): „Es begann mit einer Handvoll Menschen, die sich einem Bagger entgegenstellten, um ein Bauprojekt zu verhindern“ hieß es weiter von der „aufsehenerregenden Protestaktion“, auch wegen des Verhaltens der Stadtverantwortlichen, die letztlich das Camp räumen ließen – und damit auch die „Pyramide“, das Herzstück der „Wüste“. Ein Kunstwerk? Zumindest ein Zeitzeichen. Es wird zukünftige Generationen wohl nur mehr auf Fotos an das „handfeste“ Engagement der Öko-Aktivisten (kann man sie so nennen? Oder besser Klimabewegten? Warum gibt es noch keinen seriösen Namen für diese wachsende Zahl derjenigen, die den Kritikern wachsender Bodenversiegelung eine Stimme geben?) erinnern … während Denkmäler und Straßennamen derjenigen erhalten bleiben, die nicht gegen den Naziterror gegen die ungewollten Bevölkerungsteile protestierten.

Damit ich nicht missverstanden werde: Ich sehe sehr wohl die Notwendigkeit der geplanten Stadtstraße, aus eigener Betroffenheit als Endsiebzigjährige, die es trotz mehrfacher Versuche als Erwachsene nicht geschafft hat, sturzfrei Rad zu fahren, durch ärztliches Verbot schwer heben und tragen vermeiden muss und (immer noch aktiv) beruflich ihre selbstverfassten Bücher und Skripten mitschleppen muss / soll. Ich sehe aber auch mögliche Alternativen für Personen wie mich – und ich bezweifle, dass diese im Rathaus andiskutiert wurden. Ich habe in der Medienberichterstattung nichts davon gelesen, dass Zeit und Kosten für Mediation aufgewendet wurden (wie etwa jahrelang rund um die Anrainer-Konflikte um den Bau der 3. Schwechater Flughafenpiste) oder andere Methoden um die „Weisheit der Vielen“ (so der Titel des richtungsweisenden Buches von James Surowiecki) zur Konfliktbearbeitung zu nutzen. Ich vermute, weil es nicht dort Ansässige waren – sondern Menschen von irgendwo, und ohne Aktenkoffer und Nadelstreif, die Insignien finanzstarker Manager oder Beamten.

In der Form, wie Konflikte bearbeitet werden, zeigt sich das Gewaltpotenzial der Stärkeren. Das der Schwächeren zeigt sich bei Wahlen – zumindest in einer Demokratie. Aber dann ist es oft zu spät für Korrekturen.

Dass in der gegenwärtigen Mediengesellschaft viel Energie (und Geld wie wir tagtäglich erfahren) aufgewendet wird, um unliebsame Tatsachen klein und erwünschte groß zu reden, darf als bekannt vorausgesetzt werden – nur: Es gibt nicht nur die finanzierten – es gibt auch die selbstgestalteten Medien. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Anfang der 1990er Jahre, als ich meinen ersten Lehrauftrag an der Universität für Bodenkultur erfüllte, immer wieder im Haus an der Gregor-Mendel-Straße nach einem dort irgendwo verborgenen Piratensender gesucht wurde … Der leider tödlich verunfallte Sozialminister Alfred Dallinger (1926–1989) mahnte immer, die Utopien von heute wären die Realität von morgen und deshalb ernst zu nehmen. Ich ergänze: nämlich die Menschen, die sie haben und öffentlich machen.

Es geht in der Gestaltung unserer Lebenswelt nicht darum, Sieger zu sein. Es geht um Respekt für Minderheiten, nicht nur, weil sie sich zu Mehrheiten auswachsen können, wenn sie die Unterstützung all derjenigen erhalten, die sich auch nicht respektiert fühlen, sondern weil nur mehrperspektivisches Schauen ermöglicht, Lösungen zu (er)finden, um Gegensätze ins Gleichgewicht bringen.

Meine Utopie: Man könnte geschwindigkeits-begrenzte Stadtstraßen ja auch teilentsiegelt bauen, dauert vielleicht länger, bringt daher mehr Arbeitsstunden, mehr Stille, mehr Grün, mehr ökologische Vorteile … und vermutlich auch mehr Schönheit. Man müsste nur auf Tradition und damit (Staats)Gewalt der obrigkeitlichen Be-wält-igung verzichten.