Sich nicht klar auszudrücken, ist eine der häufigsten Ursachen für Konflikte. Meist will sich jemand nicht festlegen, hat vielleicht alte Kindheitsängste vor Negativreaktionen der jeweiligen Vorgesetzten – Eltern mitgemeint – oder er oder sie hatte nur solche Vorbilder mangelnder Selbstbewusstheit. Oder aber er oder sie ist zu Recht besorgt, keine passenden Formulierungen zu finden – vor allem wenn Zorn oder Wut „zu Kopf steigt“.

„Sich seines Selbst bewusst“ zu sein bedeutet, „zu sich zu stehen“, vorausgesetzt allerdings, dass man auch eine eigene Position besitzt. Solch eine zu entwickeln, braucht Zeit – und einer der Gründe, weswegen Menschen mit Zeitdruckmache gehetzt werden, liegt im Verhindern, dass sie nachdenken oder nachfühlen. „In sich hineinzufühlen“ zeitigt oft gegenteilige Erkenntnisse, als das übliche angepasste Funktionieren, zu dem oft schon von klein auf hin dressiert wird. Deswegen finde ich beispielsweise „Schulspiel“ so wichtig – denn da können „SuS“ (d. h. Schülerinnen und Schüler) die eigene Kongruenz (das heißt die innere Wahrheit mit der nach außen „verkörperten“) in der jeweiligen „Rolle“ trainieren – und damit auch umgekehrt die eigene „Echtheit“ (Authentizität) im Alltag.

Dazu gehört auch die erste der neun „Gesprächsregeln“ der deutschen Psychoanalytikerin Ruth Cohn (Ruth Cohn – Wikipedia), sich nicht hinter „man“ zu verstecken sondern mit „ich“ zu sich selbst zu stehen. (Microsoft Word – 9_teamregeln_tzi_2020.docx (bgm.tools)). Nach der letzten Sendung „Im Zentrum“ (24. Oktober, Thema Pandemie-Maßnahmen) gab es eine heftige Facebook-Debatte darüber, dass sich die Moderatorin zu gewährend verhalten hätte, als die als Sprecherin für Impfgegner eingeladene FPÖ-Funktionärin immer schneller und heftiger zu polemisieren begann; eine Frau erinnerte zu ihrer Verteidigung, sie habe auf die Agitation der FPÖ-Politikerin ohnedies gesagt: „Das kann man so nicht stehen lassen“.

Dieser Satz ist unwahr. Man „kann“ ihn auch so stehen lassen – und dies wäre nur eine von vielen möglichen Reaktionen. Aus meiner Sicht wäre „Das will (mag, möchte) ich so nicht stehen lassen“ klarer gewesen. Eine Alternative wäre auch gewesen, in die – möglicherweise schockierte – Diskussionsrunde zu fragen „Wollen Sie das so stehen lassen?“

In meiner universitären Lehrtätigkeit als Erwachsenen-Pädagogin (das nur zur Unterscheidung von meinen Lehraufträgen in Hinblick auf einen meiner anderen Berufe) habe ich mich immer bemüht, meinen Studierenden (meist erfahrene Lehrkräfte aus dem Pflichtschulbereich aber auch aus anderen Berufsfeldern) die Energiedynamik zu verdeutlichen, mit der vielfach versucht wird, andere einzubremsen, zu Sprachverlust zu provozieren oder zu verwirren; ich sage dann meist pointiert, jemand „mundtot“ machen zu wollen, ist eine Form von „sozialem Mord“.

Wie es wäre, sich – und auch andere – sprachlich zu verteidigen, sollte heutzutage bereits in den schulischen Sprachunterricht aufgenommen werden, denn daheim oder gar von den filmischen (oder parlamentarischen) Vorbildern kann das kaum „abgeschaut“ werden.

Gewaltverzicht beginnt mit der eigenen Sprachwahl, und dazu gehören auch prosoziale Formen, anderen Grenzen aufzuzeigen oder zu setzen.