Vor allem aus dem Bereich von Lehrenden wie vor allem auch Lehrlingsausbilder höre ich immer wieder Klagen, dass die „Jugend von heute“ nicht mehr grüße, nicht mehr pünktlich sei und überhaupt Respekt vor Älteren vermissen lasse. Auf meine Frage, was die Beschwerdeführer dagegen zu unternehmen planten, kommt meist ein unsicherer Blick in die Leere, manchmal noch die zage Frage „Mit dem Jugendvertrauensmann reden?“. Ich schlage dann immer vor, das „Problem“ direkt anzusprechen, als (Fachausdruck) „Selbstoffenbarung“: „Mir ist wichtig, dass wie einander grüßen – und wenn es nur ein Kopfnicken, Lächeln, „Hi“ ist … aber am liebsten wäre mir, wenn Du/Sie mir einen Guten Tag wünscht und umgekehrt.“

Von dem amerikanischen Lyriker und Schriftsteller Robert Bly (*1926), der vor allem durch sein Buch „Eisenhans“ als einer der Väter der „mythopoetischen“ Männerbewegung bekannt wurde (die mit Hilfe von Märchen, Sagen und Mythen Initiationswege zum Mannsein aufzeigen will), stammt auch ein Buch mit dem Titel „Die kindliche Gesellschaft“. Darin schreibt er, die erziehende Stellung der Mutter habe sich ab dem Zeitpunkt verändert, als sich die Unterhaltungsindustrie zwischen sie und die Kinder gedrängt habe, und er bringt ein Beispiel: „Die Musikindustrie erkannte bald, dass sich Riesenprofite machen ließen, wenn jede Generation dazu gebracht werden könnte, ihre eigene Musik zu haben. [ – ] Die Eltern hatten dabei keine Chance. Die Stars der Unterhaltungsbranche waren tausendmal interessanter als die eigenen Eltern. Die Jugendlichen ,verstehen‘ die neue Musik, und bald hören sie nur noch diese. Sechs-, Siebenjährige hören jetzt Rap, dessen Texte offen Hass auf Frauen artikulieren. Tatsächlich beziehen unsere Kinder die meisten Werte aus Musik, Video und Kinofilmen …“

Geschrieben wurde das von ihm 1996. Die Kinder von damals sind heute junge Erwachsene, viele davon – nicht alle – ausgestattet mit einem Selbstwertgefühl, von dem ihre Eltern nicht einmal träumen duften, und das auf dem Zutrauen „Alles ist machbar!“ basiert … bis, ja bis einen Ende 20 die sogenannte „quaterlife crisis“ einholt: Grenzen missachtet – vor allem die der eigenen Kraft. Und die der Notwendigkeit, mit anderen gut auszukommen. Zu kooperieren. Realitätssicht heißt das. Sie ist das Zeichen des Erwachsenseins: Nicht auf eine rettende Elternfigur zu warten, sondern selbst Verantwortung übernehmen.

Die Realität wahrzunehmen ist der erste Schritt, sie zu verändern oder zu sichern. Das betrifft heutzutage die Umwelt genau so, wie die Arbeitswelt, alle Beziehungen, auch die zwischen Staaten.