Mit „Ja zur Familie, Nein zu Gender“ haben die Regierungsparteien Polens heute einen Antrag zum Austritt aus der Istanbul-Konvention des Europarats  eingebracht. Die Türkei ist schon vor einer Woche ausgetreten. Nun steht zu befürchten, dass diese Staaten auch „hinter den Kulissen“ andere Staaten, die sie als gleichgesinnt vermuten, zum Austritt bewegen könnten.

Zur Erinnerung: Die Istanbul-Konvention verpflichtet Staaten, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu ahnden und ihnen Schutz zu verschaffen.  (Istanbul-Konvention des Europarates – humanrights.ch)

Nun könnten diese Staaten natürlich argumentieren, dass diese Gewalt bei ihnen nicht vorkomme – es hängt schließlich davon ab, wie man Gewalt definiert. Dass Gewalttäter vor Gericht 1. derartige Tatsachen (im wahrsten Sinn des Wortes) abstreiten, 2. jegliche „Schuld“ von sich weisen, sondern den Menschen, die sie so zum „Objekt“ verdinglichen, zuschreiben, und 3. auf ihr eigenes Opfersein berufen, ist hinlänglich bekannt und gut beforscht. Sie übernehmen einfach keine Verantwortung – das erkennt man z. B. schon daran, dass sie behaupten „es wäre ihnen passiert“, und sehen jeden Übergriff als „Einzelfall“. Und wenn sie sich dabei von einer Mehrheit von Geschlechtsgenossen – auch im Parlament – bestärkt fühlen, zeigt sich, dass hier massiver Informationsmangel vorherrscht.

Es wäre zu fordern, dass all diese Befürworter einzeln (!) einer Gruppe kompetenter, daher nicht (aus Betroffenheit oder taktisch) emotionalisierter Frauen gegenüber ihre Argumente zur Diskussion stellen sollten. (Vgl. das – therapeutisch ausgerichtete – Buch „Frauen verändern Vergewaltiger“, herausgegeben von Hanne Tügel und Michael Heilemann, Fischer TB aus 1987.)

Ihre Taktik bzw. langdauernde Strategie ist die Definitionsmacht: Gewalt wird beispielsweise erst als solche anerkannt, wenn das Opfer halbtot gewürgt oder geprügelt, neuerdings gestochen etc. wurde – alles andere ist nur ein „Schubser“, und „nicht bös gemeint“, höchstens als „Warnung“. Dass auch Frauen Selbstbestimmung zu verbieten (eine Gesundheitsschädigung) Gewalt ist, wird als Unsinn (eine zweite Gesundheitsschädigung!) verdammt. (Die organischen Schädigungsfolgen sind durch die letzten 15 Jahre computergestützte Gehirnforschung naturwissenschaftlich exakt nachgewiesen, vgl. Joachim Bauer, „Schmerzgrenze“, Karl Blessing Verlag 2011).

Genau das ist das Problem: Wenn konservativen Parteien der Zusammenhalt der Familie ein hoher Wert ist – dem ja durchaus zuzustimmen wäre – dann darf dies nicht durch mentale, verbale, psychische und physische (von finanzieller und zusätzlicher struktureller außerdem) Gewalt an den Frauen und Kindern „durchgesetzt“ werden, denn dadurch werden diese entweder leibseelischgeistig kaputt gemacht oder selbst zu Gewalttätigen.

Zur mentalen Gewalt zählt auch das Verbieten des gewaltpräventiven Wissenserwerbs – im Schulunterricht wie auch z. B. in der Ausbildung der Richterschaft (daran mangelt es bei uns auch). Damit wird auch die persönliche Entwicklung blockiert; man bleibt auf einem vorwissenschaftlichen Kenntnisstand stehen – und genau hier hilft ja die Europäische Gemeinschaft nach, indem in manchen Ländern mehr humanwissenschaftlich geforscht und auch experimentiert wird, in anderen mehr naturwissenschaftlich – und in manchen gar nicht. Polen gehört offensichtlich dazu.