Ein noch nicht „erzogenes“ Kleinkind (was etwas anderes ist als ein „unerzogenes“) pflegt um sich zu schlagen und zu schreien, wenn es etwas nicht will. Viele Erziehungspersonen verstehen das als Kampfangebot und wollen ihren Willen, das Kind solle ruhig sein, um jeden Preis durchsetzen – wobei die Silbe „durch“ schon darauf hinweist, dass damit etwas durchdrungen wird (beispielsweise eine Sitzgelegenheit) – anstatt achtsam herauszufinden versuchen, was konkret der aktuelle Anlass ist.

So wird schon von klein auf das angebliche Recht des Stärkeren im Denken verankert. Dann heißt es, „ohne Gewalt geht gar nichts“ – aber das ist nur eine Bankrotterklärung der sozialen Kreativität. Aber auch diese wird „gelernt“, d. h. im Nervengeflecht der Wahrnehmungs- und Handlungsneuronen des Gehirns eingespeichert, indem man dazu von einem Vor-Bild (und das kann auch ein Buch sein) ermutigt wird. Heute sind es meist filmische Darstellungen – und die sind überreich von Kampfszenen, und wer daran Interesse hat, lässt sich leicht erahnen: Nicht nur Produzenten von Waffen und anderem kriegstauglichen Material oder Vertreter einer Politik der Stärke (Gewalt inbegriffen), sondern vor allem auch Menschen, die viel unterdrückte Wut und Rachegelüste in sich aufgespeichert haben und im besseren Fall nur „mitfiebern“, im schlechtesten jedoch nachahmen.

Es liegt an unser aller biographischen Erfahrungen, ob wir sprach-sensibel Kampfsuggestionen erkennen – und ob wir sie (vielleicht sogar freudig) akzeptieren oder weiterdenkend nach Alternativen suchen. So reagierte ich sofort, als ich im profil vom 20. März auf Seite 7 las: „Was wir alle dazu beitragen können, um Putin in die Knie zu zwingen.“ Das ist eine Formulierung aus dem strafenden Eltern-Ich (so heißt ein Bewusstseinszustand in der psychotherapeutischen Schule der Transaktionsanalyse), und beinhaltet eine Siegesphantasie. (Den Artikel selbst finde ich hingegen sehr klug und zukunftsweisend.)

Ich hätte statt „in die Knie zwingen“ formuliert „von seinen Plänen abbringen“. In meinem Vorjahresbuch „Friedenserziehung in der Elementarpädagogik“ (LIT Verlag) habe ich über eine Episode meines Lebens berichtet, als ich nämlich dem Präsidenten der seinerzeitigen Friedensuniversität Schlaining eine tiefenpsychologische Vorlesung zu Genese von Kriegs- oder Friedensdenken anbot und er gedehnt sagte, das interessiere sie nicht – sie kümmerten sich nur um Konflikte zwischen Staaten, und ich ihm darauf betont überrascht sagte: „Aber diese werden doch auch nur von Menschen gemacht …“

Ich musste erst vor wenigen Tagen einer feinen Dame, die mir immer wieder ins Wort fiel (als ich ihr mediatorisch erklären wollte, woher die Konflikte in ihrer Familie ausgingen) – was mir klar machte, dass sie keine andere als ihre eigene Sichtweise dulden wollte – sagen: „Merken Sie denn nicht, dass Sie sich in eine Kampfstimmung hineinsteigern?“

Unabhängig von der historischen Aufgabe, einen Dritten Weltkrieg zu verhindern, sollte bereits im Geschichtsunterricht rückblickend das Grundprinzip jeder Mediation, d. i. gewaltbefreite Konfliktlösung, erarbeitet werden: Verzicht auf Identifikation und Unterstützung der einen oder anderen Streitpartei – Verzicht auf Dämonisierung oder Heroisierung (transaktionsanalytisch: Agieren aus dem Kindheits-Ich) – Suchen nach einem gemeinsam akzeptablen übergeordneten Dritten – Versuch, deren Sichtweisen und Ziele zu verstehen und dann: Alternativen gemeinsam zu erarbeiten.