In der Politdiskussion mit Sebastian Kurz am 18. September in ORF II wiederholte Pamela Rendi-Wagner gebetsmühlenartig das Narrativ (ich könnte auch formulieren: baute sie an der Legende) vom „anderen Gesicht“ ihres Gegners, der sich, so extemporierte sie, vor Kameras freundlich gäbe, aber in Wirklichkeit eiskalt sei (wie wenn man nicht auch eiskalt freundlich sein könnte).

Die „Erzählungen“ der SPÖ von der sozialen Kälte der gegnerischen Parteien sind wohl allen aus den vergangenen Wahlkämpfen bekannt. Es ist eine Definition – und ein Reframing. (Reframing, auf Deutsch „Neuumrahmung“, ist eine psychotherapeutische Technik, etwas gezielt aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten, Kameramanipulation miteingeschlossen.) So wird hier eine subjektive Körperempfindung als Umrahmung statt einer objektiven Bewertung von Planungsabsichten verwendet, die damit gar nichts zu tun haben. (Zu tun hätten sie dann, wenn etwa Wartebereiche in Sozialämtern etc. im Winter nicht mehr beheizbar gehalten würden um Besucher abzuhalten.)

Kälte und Wärme sind keine politischen Kategorien.

Aber weswegen schrieb ich Definition? Weil wir wohl alle Erfahrungen aus unserer Kindheit haben, wie wir unseren Willen gegen den der Eltern durchsetzen wollten: Sie sollten etwa etwas kaufen, was wir unbedingt haben wollten, und sie verweigerten das unter Hinweis auf Ökonomie (Budget und verantwortungsvolles Wirtschaften) oder Ökologie (Gesundheit) – aber das versteht der Nachwuchs nicht und will es auch nicht verstehen.

Im traditionellen Familienbild steht die Mutter für soziale Wärme und der Vater für übergeordnete Pflichterfüllung, und schlaue Kinder haben bald heraus gefunden, wie man Eltern gegeneinander ausspielt – und üben das später ebenso, vor allem mit Negativzuschreibungen, oft auch Verleumdungen. (Das kenne ich nur zu gut aus den Leidensberichten von KlientInnen, die z. B. im Rahmen der Stadt Wien oder des Bundes oder von Universitäten gemobbt wurden – nur schreibt kaum jemand den konkret Verantwortlichen „soziale Kälte“ zu.)

Auch Rendi-Wagner hat am Mittwoch ihr „anderes Gesicht“ – nämlich das einer hasserfüllten „Furie“ – gezeigt (vgl. Salzburger Nachrichten, 20.09., Seite 4!). „Staatsfraulich“ war das nicht. Aber ihren Fans wirds gefallen haben. Wäre ich ihr Coach, hätte ich ihr empfohlen, Videos von Doris Bures, Johanna Dohnal, Sabine Oberhauser (ihre ehemalige Minister-Chefin) oder Angela Merkel zu studieren. So geht Kraft.

Von C. G. Jung stammt der Begriff des „Schattens“: Wir alle haben ein Vorzeigegesicht – quasi wie ein blumengeschmücktes Vorgärtchen – und im Schatten, also hinterm Haus, das, was wir nicht so gerne herzeigen, gleichsam den Misthaufen. Wer sehr freundlich tut, verschiebt seine Aggression in den Schatten, wer sich aggressiv aufbaut, seine Angst oder Hilflosigkeit. Eines der wichtigsten Bücher, die ich meinen StudentInnen immer empfehle, ist das schmale Bändchen des Schweizer Jungianischen Psychoanalytikers Adolf Guggenbühl-Craig (1923–2008, nicht zu verwechseln mit seinem Sohn Allan, einem Forscher zu Männergewalt) „Macht als Gefahr beim Helfer“: Der Schatten des Helfens ist das Wohlgefühl der Macht gegenüber der Machtlosigkeit der Hilfsbedürftigen.

Wir alle haben übrigens nicht nur zwei Gesichter: Wir haben viele. Dazu empfehle ich das Buch „Meine vielen Gesichter“ der „Mutter der Familientherapie“, Virginia Satir (1916–1988).