Peter Hiess bat mich 2003 um einen Beitrag „Ist Kurt Ostbahn sexy?“ für den Sammelband „Kurt Ostbahn: Seid‘s vuasichtig und losst‘s eich nix gfoin!“ (Niederösterreichisches Pressehaus 2004).

Ich schrieb damals:

„Die Brille, der Bart, die Schulter“

Von Zeit zu Zeit tauchen Bücher auf, in denen antike Göttergestalten herhalten müssen, um ihnen die Männer und Frauen der Gegenwart „unterzuordnen“. C. G. Jung begann mit der Klassifikation der „Archetypen“, Jean Shinoda Bolen setzte mit „Götter in jedem Mann“ – und selbstredend auch „Göttinnen in jeder Frau“ – nach. Robert Moore und Douglas Gilette reduzierten auf vier Typen – „König, Krieger, Magier, Liebhaber“ – und der Expriester John Gray nahm überhaupt nur mehr Marsmänner und Venusfrauen wahr.

In Österreich hingegen kreieren sich Originale nach Eigen-Sinn: vom stumm lächelnden WaLuLiSo über den im Böhmischen Prater brabarssierenden Baron Karl bis zur singenden Frau Maria in ihrem Kaffeehaus am Naschmarkt. Menschen wie du und ich, Menschen auf der Straße, im Park, im Domizil, Menschen, die sich was trauen.

Und plötzlich steht so ein Original auf den Brettern, die bekanntlich die Welt bedeuten, und man weiß nicht mehr: Ist das ein abgesandelter Chippendale Stripper? Eine Simmeringer Persiflage auf Marlon Brando in „Endstation Sehnsucht“? Oder bloß ein zivilisations-verdrossener Vorstadtmacho? Oder ist Kurt Ostbahn vielleicht gar Österreichs Prometheus, der sein Leben dem doppeladlerigen Unverständnis preisgab?

Da und dort taucht Verdacht auf: Quasi wie dem seriösen Dr. Jekyll unvorhergesehen der dämonische Mister Hyde entspringt, könnte ja auch der elegante Willi Resetarits so eine Schattenpersönlichkeit in sich bergen, die es satt hat, sich immer nur altmodischen Kulturritualen anzupassen, auch den sozialdemokratisch-prüden, wo offiziell nur die „flammende, die rote Fahne“ im Wind fliegen darf, nicht aber die selbstgeschaffene aus der Kehle, und wo nacktes Männerfleisch nicht einmal auf einer Fotomontage „profil“ zeigen darf … und Sex!

Wo WaLuLiSo, Baron Karl, der liebe Augustin asexuell zu sein haben und Anatol höchstens Kavalier und Gentleman, ist Kurt Ostbahn – dieser Archetyp des urbanen österreichischen Mannes – ungezügelt sexy!

Egal ob enge Lederslacks oder ganz gewöhnliche Jeans seine Standfestigkeit betonen, es sind die nackten Schultern Ostbahns, die signalisieren: Hier darf sich keine anlehnen! Und das Kraftleiberl, dem sie entspringen und das der gelernten Wienerin in weißem Benger-Feinripp, wenn schon nicht von lauen Abenden an der Copa Kagrana (oder im Gemeindebau), spätestens seit Mundl Sackbauer vertraut ist – entspricht es nicht den blau-roten Kraftanzügen von Superman und Robin? Und wenn schon Anzug sein muss, dann Nadelstreif mit Schwarzhemd und hellem Binder wie bei der Cosa Nostra (oder Hochzeit in Favoriten)! Süden eben.

Und verzichtet Ostbahn nicht auch auf die tägliche Rasur wie der eheliche oder außereheliche Beischläfer bei jeder sich bietenden Gelegenheit? Oder soll der permanente Dreitagesbart den Mythos vom Barthaar, das im gleichen Rhythmus wie der sexuelle Appetit sprießt, symbolisieren? Oder das dezente Sträflingsimage pflegen? Dazu noch die dunkle Sonnenbrille, egal wie düster die Außensicht ohnehin schon ist? So als klitzekleiner Hauch von Mafia?

Da leckt sich die Kennerin die sehnsuchtsvoll bebenden Lippen, lauscht der nasalen Balz – und verzeiht auch, wenn Ostbahn im Klimakterium effeminiert, in der Hochschule des Lebens promoviert und fortan mütterlich-gütige Lebensweisheiten von sich gibt. Denn irgendwie kann frau die Pheromone des Panthers immer noch erschnuppern und die Kraft, die solche Männer in die Ferne treibt … und ob sie wiederkehren? Wer weiß.