Ein angeblicher Psychotherapeut soll in Waidhofen an der Thaya zumindest drei Klientinnen „massiv ausgenützt und sich an ihnen vergangen haben“, heißt es im Kurier vom 22. Oktober, und im Standard vom gleichen Tag wird noch darauf hingewiesen, dass dies in Hypnose geschehen sei. Damit sich weitere Opfer melden können, wurde ein Foto des Verdächtigen veröffentlicht.

Es gilt natürlich die Unschuldsvermutung – aber ebenso der Verdacht auf einen „Serientäter“. Autoritätsberufe, in denen es zu großer seelischer Nähe kommt, sind Übergriffs-gefährdet. Das gilt für Ärzte, Lehrer, Jugendleiter, Kleriker … denen allen der „Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses“ (§ 212 StGB: https://www.jusline.at/gesetz/stgb/paragraf/212) strafrechtlich verboten ist – vielen allerdings nur in einer „Institution“. Rechtsanwälte und Detektive fallen nicht unter diese Regel – dabei sind sie oft in enger Berufsbeziehung zu verzweifelten Frauen, und die Gefahr des „übermäßigen Tröstens“ taucht auch hier auf, oft als Heilmethode maskiert. (So wird nämlich oft rechtfertigt, dass aus Beistand Beilager wird.)

1991 hatte ich genug „Material“, d. h. strafrechtlich relevante Fälle gesammelt, um ein Buch zum Thema zu verfassen – was nicht leicht war, weil es damals in der Justiz noch keine datenmäßige Erfassung gab (ich hoffe, das hat sich geändert?) und ich alles in vielen Interviews recherchieren musste. Ich habe es damals unterlassen (aber aufgehoben), da mir das damals neu erschienen Buch von Claudia Heyne, „Tatort Couch“, Kreuz Verlag 1991, als umfassender erschien. Sie stellte in ihrer empirischen Erhebung fest, dass folgende persönliche Rahmenbedingungen zu Voraussetzung für Verletzungen der „Abstinenzregel“ werden können: Mangel an sozialen Kontakten, Einsamkeit und Arbeitssucht; unglückliche Ehen, Trennungen, Scheidungen, Midlife und andere Krisen; Mängel in der Aus- und Weiterbildung und fehlende Supervision. Die Sozialwissenschaftlerin beschreibt aber auch Persönlichkeitsmerkmale wie z. B. brüchiges Selbstwertgefühl, Suche nach Anerkennung, Retterphantasien und auch mangelnde Fähigkeit zur Realitätskontrolle. Entweder man ist Psychotherapeut (Arzt, Lehrer etc.) – oder man ist Geliebter. (Meist sind es Männer, die nicht erkennen, dass sie nur „Projektionsfläche“ für aufbrechende Liebesgefühle und nicht wirklich als „Person mit Löchern in den Socken und Darmwinden“ gemeint sind; mir sind in meiner nunmehr über 50jährigen Praxis – Ethikbeirat im Psychotherapiebeirat des Gesundheitsministeriums mitgemeint – nur zwei vergleichbare schwere Übergriffe von Psychotherapeutinnen untergekommen, verbale Anzüglichkeiten schon – und Phantasien mehrere, aber deswegen sind die Kolleginnen ja zu mir in Supervision gekommen – wie es sich gehört.)

Wenn aber jemand Trancen oder Hypnose ausnützt (und nicht „nur“ seine eigene Gefühlsverwirrung), wird aus unethischem Verhalten und Kunstfehler kriminelle Absicht, nämlich eine massive Gesundheitsverletzung. In meiner jahrelangen Tätigkeit als Gerichtssachverständige für Kunstfehler in der Psychotherapie bin ich immer wieder von verzweifelten Ex-Klientinnen kontaktiert worden, die erkannt hatten, dass sich in der Therapie früher erlebte Missbrauchserfahrungen wiederholt hatten (Gegenübertragung heißt so etwas in der psychoanalytischen Fachsprache) – und sie dafür noch bezahlt hatten.

Allerdings muss auch geklärt werden, ob der Täter auch wirklich lizensierter Psychotherapeut ist und nach welcher Methode. So erinnere ich mich, dass der selbst ernannte „Hypnosetherapeut“ – in Deutschland sind die gesetzlichen Schutzbestimmungen für die Berufsbezeichnung nicht so streng wie in Österreich, und leider werden die dazu medial oft verletzt – und „Staresoteriker“ (https://taz.de/!1565577/)  Erhard Freitag (1940–2015) seinerzeit auch einmal mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert war. Meist herrscht dabei Beweisnotstand vor. Breite Aufklärung tut Not – womöglich schon in der Elementarpädagogik! (Daher: keine 3-Wochen-Crashkurse für Kindergartenpädagoginnen!)