Potenziell gewalttätige Menschen erkenne man unter anderem daran, dass sie ein „Nein!“ – d. h. eine Grenzsetzung – nicht akzeptierten, berichtet der US-amerikanische Sicherheitsexperte Gavin de Becker in seinem Aufklärungsbuch „Mut zur Angst“ (im Original „The gift of fear“, als Taschenbuch „Vertraue deiner Angst“). Ganz im Gegenteil – wenn man ihnen Grenzen setze, würden sie sofort ausfällig, beleidigend, oft sogar körperlich übergriffig.

Kaum hatte ich dieses Buch das erste Mal gelesen, erlebte ich seinen Hinweis hautnah – in einem Hotel in Tirol, in dem der greise Vater der Besitzerin, der an diesem Abend die Rezeption „beherrschte“, mein Winziggepäck – Reisetasche und Laptop – ins Zimmer tragen wollte; ich lehnte dankend ab, vor allem, weil ich, linke und rechte Hand ausbalanciert, in meinem Tempo gehen und nicht jemand nachzuckeln wollte. Der alte Mann riss mir daraufhin die Reisetasche aus der linken Hand und brüllte mich an „Na geben’s schon her!“ worauf sich ein Ringkampf um meine Tasche ergab. Ich musste wohl vier oder fünfmal protestieren und darauf bestehen, mein Gepäck nicht „aus der Hand geben“ zu wollen.

Ähnliches kennen wohl viele. Gavin de Becker interpretiert das als Dominanztest – Niveau wie unter Hunden, wenn sich der Besuchshund über die Fress-Schüssel des Haushundes hermacht und der dann hilfesuchend zu Herrchen oder Frauchen schaut, sofern ihnen Selbstverteidigung abdressiert wurde.

Gestern erlebte ich zweimal Vergleichsverhalten bei mir persönlich unbekannten Menschen, denen ich – wohlgesonnen der Nettikette vertrauend – Platz in meiner Facebook-Freundesliste zugestanden hatte, was sie mit Invasion auf meinem Messenger-Briefkasten beantworteten. Den Mann hatte ich nach seinem ersten Polit-Statement ersucht, mich über Messenger nur anzumailen, wenn er ein konkretes Anliegen an mich hätte, aber nicht mit Zitat-Bildern, und er antwortete, dies würde nicht mehr vorkommen … tat es aber doch, gleich am nächsten Tag, und als ich mir das nochmals verbat, folgten gezielte verbale Untergriffe – und genau das gleiche Reaktionsmuster vollzog kurz darauf eine  mir ebenfalls persönlich unbekannte Frau mit langen Texten samt persönlichen Beleidigungen, nachdem ich wieder gebeten hatte, mir nicht mit unerwünschten Selbstdarstellungen meine knappe Restlebenszeit zu stehlen. Die Frau verteidigte daraufhin ihre Texte als literarisch, beantwortete aber nicht meine Frage, was sie denn mit ihren „messages“ von mir wolle.

Mein Supervisor interpretierte nach Lektüre dieser Versuche mich psychisch zu verletzen als Zeichen innewohnender mangelnder Realitätssicht, nämlich zu wähnen (Zeitwort zu Wahn), eine Psychotherapeutin müsse als quasi idealer Mutterersatz immer gewährend sein – oder umgekehrt, sich selbst die Funktion der strafenden Mutter zuzugestehen, also einen Machtkampf nachzuholen, wie er in der Pubertät üblich ist, wenn Eltern beschimpft werden, wenn sie nicht den Forderungen ihres Nachwuchses entsprechen.

Ich habe die beiden Fehdehandschuhe nicht aufgenommen und die beiden blockiert. Schon Sigmund Freud sagte, was in seinem Behandlungszimmer auf der Couch liegend als Entsorgungsform von Seelenmüll (und meist Symptom von Übertragungsgeschehen) gestattet sei, sei es im Vorzimmer seiner Praxis nicht.

Diese Form von „Wegweisung“ thematisiere ich vor allem deshalb, weil seit etwa knapp zehn Jahren verbale Gewalt als eine Form psychologischer Kriegsführung überall zunimmt – und ohne Widerspruch als ganz normal rechtfertigt wird – und weil wir alle „Energie sparen“ sollen, daher auch die eigene.