Die eigene Freiheit ende dort, wo sie an die der anderen stoße, wird oft doziert – aber diese Grenzen muss man erst einmal wahrnehmen (d. h. wissen, dass es sie gibt und dass sie individuell unterschiedlich ausgeformt ist). Üblicherweise gibt es drei Entwicklungsphasen, in denen sich alle Menschen mit diesem Problembereich konfrontiert sehen:

  • das ist zuerst die sogenannte „Trotzphase“ so um das Ende des zweiten Lebensjahres, in der die Kleinkinder sich dank erstarkter Muskelkraft in Widerstand üben und sich „stark“ fühlen, aber oft brutal eingebremst statt geduldig angeleitet werden. Viele der späteren psychischen Störungen haben darin ihre Wurzel.
  • die nächste Phase ist die sogenannte Pubertät – also der Eintritt in die „Reife“ der Erwachsenenwelt (und damit Strafmündigkeit, gesetzlich erlaubtes Sexualleben und generelle berufliche Selbsterhaltungspflicht) mit ihren vielen Ausprägungen, die erst ausgetestet werden wollen und damit zu Konflikten mit der sozialen Umwelt führen, die hemmend einwirken will – und dies wieder mit Verboten und Strafandrohungen versucht, nur lernt man dadurch nur Verbieten und Strafen. Nachahmenswerte Modelle werden kaum vorgelebt. Im Gegenteil sucht man die Selbstbefreiung eher in Gemeinschaften, wo Grenzen überschritten werden (z. B. Sekten oder radikalen ideologischen bzw. politischen Gruppierungen).
  • und dann kommt sicherlich noch das Klimakterium – der Wechsel mit seinen Hormonveränderungen (auch bei Männern!) so ab der Lebensmitte (derzeit zwischen 40 und 50 angesetzt), in dem das bisherige Leben oft als zu eng empfunden wird und Ausbruchslust entsteht (und wenn es nur ein trivialer Seitensprung oder Bordellbesuch ist).

In der der psychotherapeutischen Arbeit sollten solche Freiheitsbestrebungen thematisiert und wertneutral in Bezug auf die erlebten Einengungen durchgearbeitet werden. Manche KlientInnen missverstehen die ersten Schritte in diese Richtung jedoch als quasi Erlaubnis, sich von allem bisher Verbotenen zu befreien – beispielsweise von anerzogenen Aggressionshemmungen. Aber einen Impuls, eine Gefühl, eine Wunschphantasie wahrzunehmen bedeutet nicht, sie sofort in die Tat umsetzen zu müssen (auch wenn das manche sogenannte ExpertInnen zu propagieren scheinen).  In den 1970er Jahren wurde Wilhelm Reich derart fehlinterpretiert, vor allem was die sogenannte „sexuelle Befreiung des Kindes“ betrifft – und heute wissen wir, dass diese „Entgrenzungen“ tatsächlich massive leibseelischgeistige Grenzverletzungen waren. Es wurde der innewohnende Machtfaktor nicht erkannt: Wem nützt propagierte Freiheit? (Möglicherweise nur den AutorInnen einschlägiger Bücher!)

Freiheit bedeutet Gedankenfreiheit – nicht Tatfreiheit.
Dazwischen liegt der Mut zur Ethik
– und damit zum freiwilligen Verzicht darauf, was einer anderen Person Schaden zufügen kann.