Als ich in den frühen 1970er Jahren – als ich mit meinen Söhnen in Karenz und das Geld knapp war – begann, mit journalistischen und anderen redaktionellen Beiträgen für den Compress Verlag „dazu zu verdienen“, sagte mir der Chef und rückblickend Mentor, ich solle nie das Wort „lügen“ verwenden, denn das wäre der Vorwurf einer strafbaren Handlung und als „Üble Nachrede“ und in der Folge „Ruf- und Kreditschädigung“ strafrechtlich und bei tatsächlichem Schaden auch zivilrechtlich verfolgbar – und das könne teuer werden. Ich solle stattdessen „das ist unwahr“ formulieren.

So genau hatte ich das im Jus-Studium nie gehört, war dankbar, und habe mich seitdem immer daran gehalten.

Beim täglichen Lesen von vier Tageszeitungen merke ich aber, dass sich die Zeiten geändert haben: Da schmeißen manche Nationalrats- oder Landtagsabgeordnete mit dem L-Wort nur so um sich, die Medien „springen auf diesen Zug auf“ und: „So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt“ (Zitat Goethe, Torquato Tasso) – außer man findet das ganz ok – denn wenn daraufhin geklagt wird, müsste die vermutlich absichtlich „schädigende“ Person den Wahrheitsbeweis für ihre Behauptung antreten.

Daran musste ich auch denken, als ich vor drei Jahren als Zeugin gegen den ORF-Redakteur, der mich niedergeschlagen hatte, vor Gericht stand (s. „Brief gegen Gewalt“ Nr. 75 aus 2017) und dieser eine Gegenzeugin brachte, die Phantasie-Behauptungen aufstellte. Ich sagte dazu, „das ist unwahr!“ und der gegnerische Anwalt fuhr mich – listig – sofort an: „Wollen Sie sagen, dass die Zeugin lügt?“ und ich antwortete, „Nein – aber man kann sich auch irren bzw. gibt es auch das false-memory-Syndrom. Gerade letzteres kennen wir Gerichtssachverständige (und ich war das auch lange Zeit, bevor ich das erste Mal in Pension ging und in meine Heimat zurück übersiedelte), vor allem dann, wenn Zeitungen Vorfälle nicht rein sachlich wiedergeben: Durch emotionale Ausschmückungen werden Emotionen bei den RezipientInnen der Informationen ausgelöst, diese werden von unbewussten geistigen Vorstellungen begleitet und diese bauen eine Kluft zu den Tatsachen.

Immer wieder, wenn ich an der Katholischen Medienakademie zu „Wie schreiben über sexuelle Gewalt?“ unterrichte, empfehle ich, möglichst so emotionsfrei wie bei einem Polizeibericht zu formulieren – und jedes Mal kommt der Widerspruch „Aber wir sollen doch Emotionen hervorrufen!“ Verständlich, nur hilft Moralisieren nicht gegen Gewalt, und außerdem wissen die wenigsten, dass manche Menschen solche Berichterstattungen als Appetizer für ihre Lüste nutzen.

Es gibt aber nicht nur die Eigendynamik sexuellen Lustgewinns – es gibt auch die Eigendynamik der Lust an Schadenszufügung (z. B. im Vandalismus). Sie dient dem Aufbau von Machtgefühlen und der Befriedigung von Vernichtungsimpulsen, deswegen nenne ich dies „sozialen Vandalismus“.

Wer die Versuche kennt, Befragungen zu Tribunalen aufzubauschen – und dies probieren nicht nur manche Rechtsanwälte, sondern ebenso manche Fernsehjournalisten – weiß, dass dies vor allem durch Erhöhung der Sprechgeschwindigkeit inszeniert wird: Es soll Hochstress ausgelöst werden und damit Verwirrung und Black Out – Steigerungsstufe verbale Untergriffe. Ich nenne dies Methode Cassius Clay (späterer Name Muhammad Ali, 1942–2016): Der Jahrhundertboxer pflegte seine Gegner schon vor Kampfbeginn im Ring schnell zu umtänzeln und wüst zu beschimpfen. Heute kann dank der Neuroimmunologie naturwissenschaftlich nachgewiesen werden, wie durch derartige feindselige Akte die Immunkraft der Zielperson geschwächt wird – und das ist ja wohl auch beabsichtigt – und wenn jemand die Resilienz erworben hat, solche Attacken zumindest äußerlich durchzustehen, wird das nicht als besondere Reife anerkannt, sondern wieder als „Fake“ angegriffen. Ich schreibe da aus vielfacher eigener Erfahrung.