Da postete eine der „Wiener Politweiber“ auf Facebook einen Zeitungsartikel, in dem steht, dass ein katholischer Priester die Ansicht kund tat, Sex mit Kindern sei ein weniger schweres Vergehen als Abtreibung, weil dadurch ja niemand getötet würde (https://www.bolde.com/catholic-priest-pedophilia-doesnt-kill-anyone/?utm_source=Facebook&utm_medium=Partner&utm_campaign=duck&fbclid=IwAR0s7ruuPji6VF8XOn7FgIPfUo6sQUHVx6H-aVbrOy9mlfZd1RcNLGYWVSI). Er rief damit berechtigte Empörung hervor. Ich überlege: Ist das nun reiner Fundamentalismus – so wie manche Gesinnungsgefährten das Tötungsverbot schon bei der Verwendung von empfängnisverhütenden Methoden einmahnen? Oder ist es eine Provokation zur argumentativen Bestärkung seiner pädosexuellen Mitbrüder (immerhin verursachen die „Reparationszahlungen“ der Kirche hohe Kosten!)? Oder einfach Ignoranz, um nicht zu sagen Stupidität?

Der US-Sozialwissenschaftler und Soziologie-Professor an der Universität von New Hampshire, David Finkelhor (*1947), nannte sein Grundsatzbuch zu sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen (in Anlehnung an den Freud-Schüler Sándor Ferenczi (1873–1933) ) „Soul Murder“„Seelenmord“: Durch sexuelle Übergriffe wird nicht nur eine eigenständige Sexualentwicklung mit einer selbstgewählten Person in selbstgewählter Zeit und damit die Grundlage sexueller Selbstbestimmung verkrüppelt wenn nicht gar zerstört, sondern oft auch die Fähigkeit zu vertrauen, sich hinzugeben und Orgasmen zu erleben (abgesehen von möglichen Köperverletzungen).

Wenn man massive Gewalt  erlebt, hat man in der genetischen Ausstattung drei Verhaltensoptionen: kämpfen, flüchten, totstellen. Da die wenigsten Menschen über ein spezifisches Nahkampftraining verfügen, neigen sie zum Totstellen: Sie lassen in Schockstarre alles über sich ergehen. Die  Folgen der Verstörungen kommen danach – oft sogar erst nach Jahren, auch weil Zusammenhänge nicht erkannt werden. Nicht von den Pädagogen, nicht von den Eltern, nicht von den Betroffenen selbst. Kognitives Abfragen bringt selten Erfolg bei der Suche der Ursachen von Ängsten, Vermeidungsverhalten, Schlafstörungen etc. . Und die Täter phantasieren oft, „Was mir gut tut, muss auch dir gut tun“ – eine Rechtfertigungsstrategie – und das suggerieren sie auch. Und sie können sich der „Krähen-Solidarität“ (eine hackt der anderen kein Auge aus) gewiss sein. Immerhin gibt es aus den 1960er, 1970er Jahren einige sogenannte Fachliteratur von pädophilen Psychologen, auf die dann berufen wird. Aber gerade Personen in Autoritätsberufen oder -funktionen müssen besonders kontrolliert werden (s. das Mädchenballett des Fürsten Kaunitz, aber auch Ärzte, Pädagogen – sogar Psychotherapeuten). In deren Ausbildungen wird nämlich nur auf die Schutzbefohlenen reflektiert – die dringend nötige professionelle Selbsterforschung fehlt. (Ich habe dazu eine eigene Methodik entwickelt – nur sind meine bisherigen Versuche, diese in den einschlägigen Bildungseinrichtungen zu etablieren mangels Interesse potenzieller Auftraggeber bzw. Gegeninterventionen der AdressatInnen gescheitert).

Der Schweizer Theologe und wegen seiner Vatikankritik suspendierte r. k. Priester Hans Küng (* 1928) zeigt in seinen Büchern zum Weltethos, dass in allen großen Weltreligionen vier Grundsatzverbote bestehen: Sie betreffen das Töten, das Stehlen, das Lügen und das Missbrauchen, wobei Letzteres gewaltsame Unterwerfung unter den eigenen Willen bedeutet (z. B. auch durch Sklaverei). Bei Kindern gelingt das am leichtesten (oder bei Menschen, die sich vorübergehend oder andauernd nicht selbst schützen können). Deswegen gibt es gesetzliche Schutzbestimmungen – aber auch die Grauzonen von Verliebtheiten. Wie ich in meinem Buch „Sexuelle Reformation – Freiheit und Verantwortung“ aufgezeigt habe: Gerade im sexuellen Bereich ist Verantwortungsethik zu fordern – aber die muss man erst selbstreflexiv entwickeln, Ethik ist nicht angeboren, und dazu braucht man kritische Personen, die sich zu widersprechen trauen.

(Zu dem unsäglichen Vergleich mit der Abtreibung schreibe ich den nächsten „Brief“.)